Tanzende Lichter

In diesem Kurzurlaub wagten wir einmal etwas Neues, denn in uns schlummerte schon länger der Wunsch, das Polarlicht zu sehen. Obwohl es mir nur schon beim Gedanken an die schockierenden Minus Temperaturen in den skandinavischen Wintern kalt den Rücken hinunter lief, liess ich mich auf dieses Abenteuer ein. Wir wollten unser Glück allerdings nicht dem Zufall überlassen. Deshalb wählten wir bewusst das Jahr 2013 aus, in dem es laut NASA ein Polarlichtmaximum geben soll. Des Weiteren schlossen wir uns einer geführten Fotoreise an, obwohl dies eigentlich nicht unserem Naturell entspricht. Aber Ortskunde und der Einbezug von Wetterdaten für die nächtlichen Ausflüge erhöhen die Erfolgschancen erheblich. Ebenso hilfreich ist ein 4x4 Fahrzeug mit Spikes bestückten Pneus, damit die Fahrt auf den schneebedeckten und vereisten Strassen nicht zur Rutschpartie wird. Trotzdem blieben noch immer Restrisiken bestehen, denn zum einen ist das Wetter in Norwegen unbeständig und unberechenbar, und zum anderen muss Polarlichtaktivität vorhanden sein, sonst nützt die beste Planung nichts. 

Der Vorteil dieser Reiseart war, dass man sich weder um Flüge noch um Hotel- oder Mietwagenreservationen kümmern musste. Dafür war die persönliche Ausrüstung um einiges komplizierter als sonst. Damit auch jeder Teilnehmer für die Reise gewappnet war, gab es vorausgehend ein Vorbereitungstreffen, an welchem wir nützliche Tipps und Tricks erhielten. Anschliessend daran konnten wir uns im eigenen Shop von Fotoreisen.ch bequem und zu fairen Preisen mit norwegischer Spezialbekleidung ausrüsten. Ich deckte mich mit warmen Schuhen und Steigeisen für die vereiste Landschaft ein sowie einer extra warmen Jacke und einer Lupo Mütze für die eisigen Nächte. 

Nachdem alle Vorbereitungen getroffen waren, fieberten wir eifrig der Abreise entgegen, hatten aber zugleich auch grossen Respekt vor dem Aufenthalt in der „Eiszeit“. Nicht nur die frostigen Temperaturen gaben mir zu denken, sondern auch die Frage, wie mein Körper die Umstellung auf den Nachtlebensstil verkraften wird. Wir traten eine Reise ins Ungewisse an und tauchten ein in eine Welt aus Schnee, Eis und grünen Lichtern.

 

Montag, 4. Februar 2013: Zürich – Tromsø

Der Winter hat sich Zeit gelassen in diesem Jahr, aber in der Nacht auf heute hielt er definitiv Einzug. Heftige Schneefälle sorgten für zahlreiche Unfälle und kilometerlange Staus auf den Autobahnen. So schön die weisse Pracht auch war, für uns bedeutete es einmal mehr Hektik vor der Abreise. Um 06.20 Uhr stand mein Vater vor unserer Haustür und berichtete uns von den Strassenverhältnissen. Für die Vorbereitung der belegten Brote reichte die Zeit nicht mehr aus. Hastig legten wir noch einen kleinen Proviant an Lebensmittel (Käse und Trockenfleisch) in den Koffer, schlüpften in unsere klobigen Winterstiefel und warfen die schwere Winterjacke über die Schultern. Die Haustüre schlossen wir mit einem unguten Gefühl hinter uns ab, zu gross war die Befürchtung, dass wir etwas besonders wichtiges vergessen hatten. Aber dafür war es jetzt zu spät. Keine fünf Minuten von Zuhause ging das Chaos auf den Strassen los. Wir entschlossen uns, auf den Schienenverkehr zu wechseln. Gerade noch rechtzeitig erwischten wir den direkten Zug zum Flughafen. Das war eine weise Entscheidung. Nur mit leichter Verspätung trafen wir beim Gruppen Check-in Schalter ein. Nachdem wir die Boarding Pässe erhielten, besorgten wir uns beim Bäcker Sandwiches und schlenderten dann zum Gate. Noch immer fielen grosse Schneeflocken vom Himmel. Der Winterdienst am Flughafen war im Dauereinsatz und so hoben wir mit leichter Verzögerung Richtung Norden ab. Unsere Reise führte über Stockholm nach Oslo und weiter nach Tromsø. Auch Schweden und Norwegen waren mit einer weissen Decke überzogen. Die Starts und Landungen funktionierten dort auch auf nicht perfekt geräumten Pisten. Ich war verblüfft. In Tromsø angekommen, wurden wir sogleich von Fotograf und Reiseleiter Raymond Hoffmann willkommen geheissen und anschliessend zum City Living Hotel gefahren. Eine nahezu einmalige Besonderheit der Stadt ist das öffentliche Strassentunnelsystem, das die gesamte Insel unterhalb der Stadt durchzieht und mit eigener Beschilderung und Verkehrsführung versehen ist. Entstanden ist dieses nach dem Zweiten Weltkrieg, nachdem deutsche Truppen schwere Verwüstungen hinterlassen und die nordnorwegische Bevölkerung praktisch schutzlos dem arktischen Winter ausgeliefert hatten. 

Unser Hotelzimmer war klein, aber sauber und mit einer Kochnische ausgestattet. Es blieben uns zwei Stunden Zeit, um eine Kleinigkeit zu essen und uns auf den ersten Ausflug vorzubereiten. Erleichtert stellten wir fest, dass unsere gesamte Winterausrüstung trotz Hetzerei Zuhause schön zusammengefaltet im Koffer lag. Nur die Wärmepads sind auf der Strecke geblieben. Umso wichtiger war der heisse Tee, welchen wir in Thermosflaschen abfüllten und stets im Rucksack dabei hatten. Um 21.00 Uhr versammelten wir uns beim Hoteleingang. Aufgeteilt auf zwei VW-Busse ging es in 30 Minuten zum Hausberg von Tromsø, dem Storsteinen. Die Strassen waren zwar mit Eis und Schnee bedeckt, jedoch in gutem Zustand und mit den Nagelreifen problemlos zu befahren. Nach einer kurzen Einführung in die Nordlichtfotografie vom Profi gab‘s bereits die ersten Testbilder, um die Schärfe zu überprüfen. Eine dichte Wolkendecke verpfuschte uns an diesem Abend allerdings das Lichtspektakel (Aktivität wäre vorhanden gewesen). Schade. Da wir aber intensiv mit den Kameraeinstellungen beschäftigt und abgelenkt waren, war die Pleite halb so wild. Um 01.30 Uhr packten wir unsere Ausrüstung wieder ein und fuhren zurück zum Hotel. Ein langer Tag ging zu Ende.

 

Dienstag, 5. Februar 2013: Tromsø

Heute stand ein Tagesausflug auf dem Programm. Unsere halbstündige Fahrt ging zu dem kleinen Ort Tisnes, wo sich in einer Bucht schöne Eisplatten und Schneestrukturen angesammelt hatten. Es war eine Fjordlandschaft wie im Bilderbuch! Lediglich die Kälte und der eisige Wind, der uns um die Ohren pfiff, konnte die Euphorie bremsen. Abhilfe schaffte der Tee aus unserer Thermosflasche. Dieser war noch immer brühend heiss und dampfte in der klirrenden Kälte. Denn auch wenn im Februar die Polarnacht zu Ende ist, herrscht noch lange Eiszeit. Die Wintertage sind kurz in Norwegen. Sie enden bereits am Nachmittag in einer stundenlangen Dämmerung. Als wir auf dem Heimweg bei einem Supermarkt stoppten, dunkelte es bereits ein. Im Spar deckten wir uns für die kommenden Tage mit den wichtigsten Lebensmitteln ein. Wie immer brauchten wir mehr Zeit als die anderen Teilnehmer bis wir alles zusammen gesucht hatten. Wir hatten es uns aber auch zum Ziel gemacht, einmal am Tag eine warme Mahlzeit zu kochen anstatt viel Geld für ein durchschnittliches Mittagessen im Restaurant liegen zu lassen. Nach der Ankunft im Hotel legten wir sofort mit dem Kochen los. Spaghetti Arrabiata stand auf dem Menuplan. Scharf war die Pasta, aber ohne Salz (war nur im Kilo Pack erhältlich) trotzdem eine fade Angelegenheit. Immerhin hatten wir eine warme Mahlzeit. Danach bereiteten wir alles für die Nacht vor: Sandwiches, Getreideriegel, Bonbons und natürlich heissen Tee und heisse Bouillon. Zu guter Letzt schlüpften wir in unsere fünf Kleiderschichten. Schon bei der kleinsten Bewegung machten sich Schweissperlen auf dem Gesicht bemerkbar. Aber ich hätte auf keinen Layer verzichten wollen, denn die Nächte waren kalt und meistens lang. Um 17.30 Uhr versammelten wir uns wieder beim Treffpunkt vor dem Hotel, anschliessend fuhren wir 1.5 Stunden in die Pampa hinaus. Mein Orientierungssinn war in der Dunkelheit komplett durcheinander. Nach 1.5 stündiger Fahrt erreichten wir den abgeschiedenen Ort Rørvika am Meer. Bepackt mit Fotoausrüstung und Stativ folgten wir der Strasse für einige Meter zu Fuss. Danach ging es mehr torkelnd als laufend eine Böschung durch Tiefschnee hinab zum steinigen Strand. Auch das Laufen auf den Steinen Bedarf an Konzentration, denn sie waren gross, wackelig und teilweise mit einer glatten Eisschicht überzogen. Nachdem wir unseren Platz gefunden hatten, packten wir unsere Kamera aus und montierten diese auf das Stativ. Über uns stand ein dunkler, wolkenloser Himmel und die Sterne leuchteten hell. Ich schaute in die Dunkelheit hinaus, die hier so gar nichts Bedrohliches hatte. Im Gegenteil: Eine watteweiche Winterlandschaft machte sich da draussen breit und eine märchenhafte Ruhe lag über allem. Es war praktisch kein Umgebungslicht zu sehen und dank sternenklarem Himmel hatten wir Idealbedingungen zum Fotografieren. Nur, wo bleibt das Polarlicht? Stundenlang warteten wir auf das Erscheinen der geisterhaften Lichter. Dann endlich erschien diffuser Nebel am Himmel. Polarlicht! Euphorie brach unter den Teilnehmern aus. Kontinuierlich drückten wir auf den Auslöser und versuchten die schwachen grünen Schleier einzufangen. Schon nach kurzer Zeit war der Spuk vorbei. Wieder war warten angesagt. Bis zu diesem Zeitpunkt war mir nicht bekannt, dass die Aurora Borealis trotz dem derzeit herrschenden Polarlichtmaximum nicht immer vorhanden ist. Das Polarlicht ist, erklärte mir Raymond, eine Licht- oder Leuchterscheinung in den äusseren Schichten der Erdatmosphäre und entsteht in Höhen von 100 bis 300 Kilometern. Von der Sonne beschleunigte, positiv und negativ geladene Teilchen (Elektronen und Protonen), treffen auf die Schichten der Erdatmosphäre. Sie werden vom Magnetfeld der Erde erfasst und zu den Magnetpolen hin abgelenkt. Da dieser Effekt um die Pole der Erde am stärksten ist, entstehen Polarlichter bevorzugt in Pol nahen Gebieten. Die Grösse, Form und Intensität der Aurora ist von der Stärke des Sonnenwindes abhängig. Je stärker die Sonneneruptionen, desto intensiver die Farben. Wann und wo die spektakulären Lichterscheinungen auftreten, ist jedoch nicht genau zu prognostizieren. Sie können sehr plötzlich auftreten und ganz kurz, zum Teil aber auch über mehrere Stunden, andauern.

Nun war ich zwar um eine Erkenntnis reicher, allerdings riss bei mir langsam aber sicher der Geduldsfaden. Warum fahren wir nicht ins Hotel zurück, wenn doch kein Polarlicht zu sehen ist, fragte ich mich genervt. Auch das umständliche Laufen auf den grossen Steinen liess mich vor mich hin pfuttern. Vielleicht lag es auch an meinen mittlerweile kalten Füssen und der mich überkommenden Müdigkeit, die für meine miese Stimmung sorgten. Nach weiteren drei Stunden warten in eisiger Kälte brachen wir die Übung endlich ab. Unverrichteter Dinge packten wir unsere Ausrüstung wieder ein. Mir war mittlerweile so kalt, dass ich mich auch im beheizten Minibus nicht mehr aufwärmen konnte. In Gedanken war ich schon im Bett, als Raymond wegen Polarlicht plötzlich wieder umkehrte und zurück bis zu einem Eisfeld in der Region Austerbotn fuhr. Ich dachte mich knutscht ein Elch! So sehr ich mir diese Lichterscheinung auch gewünscht hatte, in dieser Nacht (es war mittlerweile 01.00 Uhr) fehlte mir schlichtweg Kraft und Energie, um mich nochmals aufzurappeln. Aber was blieb mir auch anderes übrig?! Das war der Fluch der Gruppenreise, andererseits bin ich ja eigentlich wegen dem Polarlicht gekommen und nicht um zu schlafen. Wieder stürzten wir mit Kamera und Stativ bewaffnet in die Kälte. Die Nordlichter verstärkten sich langsam und waren nun auch von blossem Auge gut sichtbar. Plötzlich schoss das grüne Licht vulkanartig vom Horizont bis über unsere Köpfe hinweg. Sogar rote Elemente waren vorhanden. Es war ein überwältigender Anblick und meine Müdigkeit war wie weggeblasen. Gegen die Kälte half jedoch nur eines – Bewegung. Deshalb war ich froh, dass Marcus eifrig fotografierte, währendem ich im Hintergrund trippelte, um mich aufzuwärmen. Die grünen Lichter tanzten am Himmel über Nordnorwegen und spiegelten sich auf den Eisschollen. Wikinger hielten Polarlichter übrigens einst für ein Zeichen, dass irgendwo auf der Welt eine grosse Schlacht geschlagen wurde. Im Mittelalter interpretierten die Menschen die Lichter als Vorboten des Unglücks. Auch wenn heute ihr Ursprung wissenschaftlich abgeklärt ist, hat die Aurora Borealis ihre mystische Faszination nicht verloren. So haben auch mich die Schönheit, Magie und Faszination der Nordlichter - wie die Polarlichter in nördlichen Breiten genannt werden - in ihren Bann gezogen.

Im Hotel in Tromsø angekommen, stellten wir unser Fotoequipment in eine Ecke, damit wir nicht unüberlegt den Rucksack öffneten. Die Ausrüstung muss langsam auf Zimmertemperatur kommen, da sonst die Gefahr von Kondenswasser besteht. Um 4 Uhr morgens fielen wir müde ins Bett.

Bemerkung: Die Vorhersagen für Polarlichter an diesem Abend waren äusserst schlecht. Unsere Geduld wurde auf die Probe gestellt und zugegebenermassen hätte ich alleine nicht so lange durchgehalten. Aber Raymond hatte Recht: Polarlicht kann sich jederzeit entwickeln. Es lohnt sich also auch bei einer Vorhersage der Stufe 0 oder 1 trotzdem alles zu probieren. Mit etwas Gespür für den geeigneten Ort und dem nötigen Quäntchen Glück kommt man zu den gewünschten Bildern. 

Mittwoch, 6. Februar 2013: Tromsø

Wir schliefen bis am Mittag aus, denn einen Tagesausflug gab es heute nicht. So genossen wir ein bisschen Ferien von den Ferien...

Um 17.30 Uhr ging es wieder los. Raymond steuerte den See Nakkevatnet bei Sjursnes an. Dieser ruhige, idyllische Ort war auch bereits ohne Nordlichter eine Augenweide. Eine friedvolle Stille lag über dem Land. Am Ufer lag eine kleine schneebedeckte Hütte, rechts und links ragten weisse Berge empor. Der See war längst zugefroren und mit einer dicken Schneedecke überzogen. Wir befanden uns in einem Kälteloch und so sorgte das Thermometer für grosse Überraschung: minus 20 Grad Celsius. Eiszeit – zumindest fühlte es sich so an! Wir folgten einem Schneepfad zur Hütte und bei jedem Schritt knirschte der trockene, fest getretene Schnee unter unseren Schuhsohlen. Es war ein wunderbares Geräusch. Wenn der Winter eine Melodie hat, dann diese. Die Landschaft sah zauberhaft aus, aber uns störten noch einige Bäume im Bild. Deshalb stapften wir hinter Raymond durch den Tiefschnee. Meine Oberschenkel und Knie gruben sich weit in den Schnee. Es war sehr anstrengend. Einige Teilnehmer kehrten um und nahmen den suboptimalen Standort in Kauf. Aufgeben war für uns keine Option. Mit den schönen Fotos vor Augen kämpften wir uns weiter in die Ebene. Endlich fanden wir den perfekten Standort für schöne Landschaftsaufnahmen und begannen sofort mit der Fotografie, denn das Polarlicht tanzte bereits am Himmel. Zu Beginn waren es horizontale Schleier, die sich von der rechten Hügelkette zur Linken zogen. Das Licht bewegte sich nur langsam, sodass wir genug Zeit hatten, den idealen Ausschnitt zu wählen. Ich stampfte den Schnee auf einem kleinen Kreis um mich herum platt, denn dieser kühlte bei den ohnehin schon eisigen Temperaturen noch zusätzlich ab. Nach einer Weile wechselten wir den Aufnahmeort um einige Meter nach rechts. Wir nutzten die vereinzelten Sträucher im Hang als Vordergrund. Die Temperaturen setzten nicht nur uns, sondern auch der Kamera, zu. Der warme Atem nagelte einzelne Fellhaare von der Pelzmütze rund um das Okular an. Bei uns waren Finger und Füsse die Schwachpunkte, trotzdem harrten wir eisern in der Kälte aus.

Nach vier Stunden wechselten wir den Standort. Obwohl wir nur 10 Minuten zum Fjord bei Reierviknes hinunter fuhren, war der Temperaturunterschied frappant: ganze 10 Grad wärmer, beinahe schon tropische Verhältnisse :-) Als wir unsere Kamera wieder aus dem Fotorucksack nahmen, war diese innert weniger Sekunden von einer dünnen Eisschicht überzogen. Welch ein Anblick! Unser Equipment sah aus wie auf einer Nordpol Expedition – ein Wunder, dass das Teil nicht den Geist aufgab. Raymond hielt Kamera und Objektiv kurz an die Autolüftung. Gerade rechtzeitig war alles wieder einsatzbereit. Das Polarlicht wurde plötzlich stärker und es bildete sich ein leuchtender Schweif am Horizont. Hektik kam auf, denn man weiss nie, wie lange die Lichtshow anhält. So knipsten wir das erste Foto direkt von der Strasse. Der harte Übergang vom weissen Strassenrand zum Wasser gefiel mir allerdings nicht. Ich erinnerte mich, dass Raymond im Auto noch sagte, dass wir zum Strand hinunter gehen sollten. Als er dann wie von einer Tarantel gestochen an uns vorbei rannte, packten auch wir unser Stativ und folgten ihm. Wieder trafen wir einen Kieselstrand an, aber die Steine waren nicht ganz so gross und wackelig wie in der vorigen Nacht. Nun hatten wir das perfekte Sujet: Mit Algen überzogene Steine, klares ruhiges Wasser, einen sternenklaren Himmel und verschneite Hügel im Hintergrund. Dazu die grün leuchtende Himmelserscheinung, die in Streifen, Bahnen und Schweifen glühte und verglühte. Wir standen am Strand, den Kopf in den Nacken gelegt, und bestaunten dieses einmalige Naturschauspiel. Stundenlang waren wir dem Rausch des Fotografierens bei perfektem Polarlicht verfallen. Und mit dem Verwisch Tipp von Raymond wurden die Aufnahmen noch besser. Auch die feinen filigranen Bänder faszinierten ungemein und gaben klasse Motive ab. Die Schönheit der Natur hoch im Norden, die Ruhe und Einsamkeit einzig unterbrochen durch das Klicken unserer Kameras und dem seichten Meeresrauschen war ein einmaliges Erlebnis. Kälte und Müdigkeit waren kein Thema mehr, es war schlicht und ergreifend atemberaubend! Es war unser Glück, dass wir die Ruhe und Stille dieses Ortes für uns alleine hatten, denn die anderen Reisenden blieben auf der Strasse oder wärmten sich im Bus auf. 

Nach neun Stunden wurde das Polarlicht allmählich schwächer. Es wurde Zeit, aufzubrechen. Zum Schutz vor Kondenswasser verpackten wir Kamera und Objektiv einzeln in Plastiktüte und sogen die Luft heraus. Dann setzten wir uns ins Auto. Es war still im Bus. Wir waren geschafft von den Eindrücken während der letzten Stunden. Ja, in dieser Nacht erlebten wir den richtigen Winter, mit Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt und mit zugefrorenen Seen. Über uns der funkelnde Sternenhimmel und das mystische Polarlicht, vor uns eine märchenhafte Winterlandschaft und hinter uns der Alltag. Um 5 Uhr morgens sanken dann zwei müde und glückliche Nachteulen in die Federn. 

Donnerstag, 7. Februar 2013: Tromsø

Auch an diesem Tag schliefen wir lange aus. Die Abfahrt am Abend verzögerte sich aufgrund schlechten Wetters. Aber die Chancen waren da. Deshalb fuhren wir um 20.00 Uhr raus und legten uns bei Ersfjordbotn bei einer Fischerei am Meer auf die Lauer. Die winterliche Landschaft mit den Fjorden umringt von Bergen war einfach fantastisch. Der Himmel war allerdings wolkenverhangen. So mussten wir wieder warten und warten und warten, aber auch an das gewöhnte man sich mit der Zeit. Vielleicht gibt es für die Geduldigen eine Lücke, dachte bzw. das hoffte ich insgeheim. Zwischen den Wolken schimmerte für kurze Momente grünes Licht hindurch. Wir warteten geduldig auf deren weitere. Aber je später die Stunde desto dichter die Wolkenfelder. Ein weiteres Mal machte uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Um 1 Uhr Morgens waren wir mit einer vollen Speicherkarte wieder zurück im Hotel. Schade, die Location wäre traumhaft gewesen!

Freitag, 8. Februar 2013: Tromsø

An diesem Freitag begrüsste uns strahlender Sonnenschein. Das musste natürlich genutzt werden. Am Vormittag machten wir einen vierstündigen Ausflug in die Gegend um Skulsfjord, die auch aus landschaftlicher Sicht sehr attraktiv ist. Kurz vor dem Abzweig nach Skulsfjord findet sich regelmässig eine Herde Rentiere, die im Schnee nach Nahrung suchen. Sie warteten schon auf das Brot, das Raymond für sie mitgebracht hatte und kamen schnell näher, so dass unsere Gruppe einige schöne Fotos dieser etwas ulkig anmutenden Tiere machen konnte. Anders als das Vieh ist das Rentier nur halb domestiziert. Sie waren allerdings ziemlich verfressen und so konnte ich ein paar Mal über ihr dickes Fell streichen. Wir verbrachten eine gute Stunde bei den Rentieren und fuhren dann ein Stück weiter zum Ort Skulsfjord. Es ist ein typisches malerisches norwegisches Fischerdorf mit hübschen roten Holzhäusern, die um den ruhigen Fjord herum angesiedelt sind. Wir parkten die Autos am Strassenrand, um einige Aufnahmen von dieser wunderschönen Szenerie zu machen. Der Schnee glitzerte im warmen Licht und eine märchenhafte Ruhe lag über der nordischen Winterlandschaft. Während wir aus der Hand fotografierten, nahm ein Grossteil der anderen Reisenden das Stativ sowie Grauverlaufsfilter zur Hand. Dadurch wurde die Wasseroberfläche auf dem Bild ganz ruhig und der helle Himmel sowie die Schneeberge konnten leicht abgedunkelt werden. Das Ergebnis liess sich sehen, sodass wir uns entschieden, diese Filter Zuhause auch zu bestellen. 

Da die Wettervorhersage sowie die Aurora Prognose für die Nacht vielversprechend waren, starteten wir den Abendausflug rechtzeitig zur blauen Stunde, sprich bereits um 16.15 Uhr. Raymond machte uns für diesen Abend grosse Hoffnungen, sodass wir uns alle pünktlich wie eine Schweizer Uhr und mit entsprechender Neugier beim Treffpunkt einfanden. Unser heutiges Ziel auf dem Navigationsgerät war mit „Nordlicht genial“ gespeichert, ein Ort, den Raymond erst vor ein paar Tagen zufällig entdeckte. Wir fuhren also nochmals zum Fjord bei Rørvika, wo wir bereits am Dienstag waren aber aufgrund vorzeitigen Abbruchs das Nordlicht an dieser Location doch verpassten. Es war eine sagenhafte Kulisse und so waren wir ganz glücklich mit der Ortswahl. Unterwegs sahen wir noch eine Elchkuh auf drei Beinen, die über die Strasse humpelte. Armes Ding, hoffentlich wird sie nicht von einem Auto gerammt.

In der Pampa angekommen, stellten wir Kamera und Stativ an ähnlichem Standplatz wie anfangs Woche auf. Der Himmel war klar ohne jegliche Wolken, aber Polarlicht war nirgends erkennbar. Wieder war warten angesagt. Besonders bei klaren Wetterverhältnissen wurde meine Geduld auf die Probe gestellt. Stunde um Stunde verging und meine Füsse wurden langsam kalt, da man sich auf den Steinen kaum bewegen konnte ohne einen Sturz zu riskieren. Gespannt beobachteten wir den Sternenhimmel und suchten am Horizont nach einem Hauch von Grün, damit man keinen Augenblick eines plötzlich erscheinenden Polarlichts verpasst. Zwischendurch knipsten wir wieder ein Foto, denn durch die lange Belichtungszeit ist das Polarlicht auf den Bildern deutlicher zu erkennen als in Wirklichkeit. Lauter nichts war zu sehen. Dann endlich nach 3.5 Stunden zeigten sich blass-grüne Flecken wie kleine, helle Wolken am Himmel. Allmählich wurden sie kräftiger.

Das langatmige Warten hatte sich gelohnt, denn wir wurden mit einer Lichtershow der Superlative belohnt. Grüne Schlieren leuchteten mit Millionen von Sternen um die Wette, flackerten wild am Horizont, bewegten sich scheinbar ziellos in die eine, dann wieder in die andere Richtung, tauchten auf und verschwanden. Eine ungeheure Energie lag in der Luft, die Atmosphäre schien zu knistern. Wieder standen wir da, den Kopf in den Nacken gelegt, schwiegen, staunten. Die Nordlichter tanzten am Himmel als würde es kein Morgen geben. Spiralen, Bänder, Fackeln, Vorhänge und Coronas – das war alles mit dabei. Zwischen all den Rufen wie „juhu, wow, da, läck, hier über uns, da bewegt es sich schnell und Hammer“ war noch zu hören wie Andy (ein Teilnehmer) in der ganzen Aufregung über die Steine stolperte und den perfekten Stunt hinlegte. Die Aurora hatte eine ungeheure Prägnanz und Leuchtkraft, dass ich sogar die Zeichen auf den Tasten meiner Kamera sehen konnte. Es war fantastisch, grossartig und mit der Reflexion im Wasser absolut berauschend – es gibt keine Worte für dieses Schauspiel. Wem da nicht der Alltag abhandenkommt und das Herz aufgeht, dem ist nicht mehr zu helfen. Ganze vier Stunden hielt das Feuerwerk an und wechselte permanent Farbe, Form und Intensität. Dass meine Füsse eiskalt waren, spürte ich schon lange nicht mehr – der Film, der sich über, vor und hinter uns abspielte war einfach zu faszinierend, so dass ich alles um mich herum vergass. 

Letztendlich verblasste das Polarlicht und wir fuhren glücklich und zufrieden zurück nach Tromsø, wo wir gegen 1.30 Uhr morgens ankamen.

Samstag, 9. Februar 2013: Tromsø

An unserem letzten Tag liessen wir es bis zum nächtlichen Ausflug ruhig angehen. Die Wettervorhersage war nicht berauschend. Aber wir fuhren raus, obwohl es an diesem Abend gewisse Überwindung brauchte, wieder über mehrere Stunden draussen in der Kälte zu verharren. Raymond peilte diesmal den Golfplatz bei Skogholt an. Dort sollen ideale Bedingungen herrschen, da man einen 360° Rundumblick hat. Leider war das letzte Wegstück nicht gepflügt. Wir mussten umdrehen und so fuhren wir erneut nach Reierviknes, das attraktiv an der Küste liegt. Wieder stapften wir samt Ausrüstung auf dem festgefrorenen Pfad zum Strand hinunter. Polarlichter waren da, aber leider hing ein schmales Wolkenband davor, das jegliches Licht schluckte. Gespannt schauten wir den Wolken nach und hofften, dass sie weiterziehen. Nun aber meinte es das Wetter auch mit den Ausdauerndsten nicht mehr gut – der Himmel blieb verhangen. Mutter Natur ist unberechenbar und manchmal unerbittlich; alles Flehen und Bitten nützte nichts. Um 23.00 Uhr gaben wir auf, in jenem Moment natürlich enttäuscht. Etwas unversucht gelassen zu haben, diesen Vorwurf müssen wir uns jedoch nicht machen.

Sonntag, 10. Februar 2013: Tromsø - Zürich

Sonntag war ein unspektakulärer Reisetag. Wir packten die Koffer und fuhren anschliessend mit den Minibussen zum Flughafen. Danach ging es mit SAS über Oslo zurück nach Zürich, wo uns wie immer mein Vater bereits erwartete.

Auch wenn es zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig war, sich die arktischen Nächte auf der Suche nach den mystischen Polarlichtern um die Ohren zu schlagen und einem die Kälte und das Wetter manchmal zugesetzt haben, so war es insgesamt doch ein einmaliges Erlebnis. Belohnt wurden wir mit diversen Fototipps und erstklassigen Aufnahmen. 

Punkto Leistung und Qualität von Fotoreisen.ch waren wir sehr zufrieden. Auf der Reise wurden auch bei teilweise ungünstigen Wetterbedingungen keine Mühen gescheut, das begehrte Licht zu finden. Kein weg war zu weit, keine Strasse zu schwierig und kein Versuch aussichtslos. Fasziniert bin ich auch davon, dass Raymond nach so vielen Fotos seine Begeisterung für die Polarlichter nicht verloren hat. Sein Enthusiasmus steckt an und so hat auch uns die Aurora Borealis ein paar glückliche Momente beschert.

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Die Spitze des Eisbergs