Die perfekte Safari?

Wer kennt sie nicht, die grosse Tierwanderung in Ostafrika, bei der riesige Gnuherden jedes Jahr in einem immer wiederkehrenden Zyklus von Süden nach Westen, von Westen in den Norden, von Norden nach Osten und dann wieder in den Süden ziehen. Es ist das ständige Bedürfnis nach frischem Gras, das die Tiere auf eine strapazierende Reise von jährlich rund 1500 Kilometer zwingt. Etliche Male habe ich dies in Dokumentarfilmen gesehen. Und dennoch: So beeindruckend es auch am Bildschirm erscheinen mag, der Gänsehaut-Effekt stellt sich erst ein, wenn man selber Zeuge dieser Massenbewegung wird. Das wurde mir auf meiner Reise im Jahr 2007 klar, als ich zufälligerweise einer vorbeiziehenden Gnuherde à ca. 8000 Tieren begegnete. Nichts aber auch gar nichts kann dich auf ein solches Schauspiel vorbereiten. Es ist schlicht und ergreifend überwältigend! Von diesem Moment an war für mich klar, dass ich eines Tages das ganz grosse Spektakel erleben möchte: Die Wanderung von über 2 Millionen Wildtieren, die sogenannte "Great Migration".

Im 2013 stand diesem Abenteuer nichts mehr im Wege – eine ausgiebige Safari in Kenia und Tansania wartete auf uns und unsere zwei Freunde, die uns begleiteten. Die ersten zwei Tage waren dem Tarangire Nationalpark gewidmet, in welchem sich in der Trockenzeit grosse Tierherden aufhalten, da der Tarangire-Fluss den einzigen ständig vorhandenen Wasservorrat in dieser Region darstellt. Aus diesem Grund findet dort – ähnlich wie in der Serengeti, jedoch in kleinerem Ausmass – eine Tierwanderung statt. Auf mich persönlich übte eine relativ unbekannte, aber spektakuläre Elefantenmigration grosse Anziehungskraft aus. Via Ngorongoro Krater ging es weiter ins Serengeti / Massai Mara Ökosystem, in dem sich das weltbekannte spektakuläre Naturphänomen abspielt. Während dieser Jahreszeit verteilen sich die grossen Tierherden auf den Weidegründen nördlich und südlich des Mara Flusses. Im September / Oktober, wenn die Weideplätze in der Massai Mara langsam abgegrast sind, spitzt sich das Drama zu. Denn dann steht den Huftieren das grösste Hindernis auf ihrer Reise bevor – die Durchquerung des Mara Flusses. Sechs Tage waren darauf ausgelegt, Zeuge solcher River Crossings zu werden, sowohl auf tansanischer wie auch auf kenianischer Seite. Letztlich gönnten wir uns ein Luxuscamp innerhalb der privaten Naboisho Konzession, angrenzend an die Massai Mara. 

Schon früh hatten wir die Buchung unter Dach und Fach, denn die Nachfrage in der Hochsaison ist gross und die Verfügbarkeit in den kleinen intimen Camps beschränkt. So zog sich die Warterei diesmal besonders in die Länge, aber Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude.

 

Sonntag, 22. September 2013: Zürich – Arusha 

Nach 7 Monaten Durststrecke war der langersehnte Tag endlich gekommen. Unsere Batterien waren mehr als leer und bedurften dringender Aufladung. Ich freute mich unheimlich auf diese Reise, auf die Sonne und auf die hoffentlich tollen Tierbeobachtungen. Natürlich war ich auch ein bisschen angespannt, ob die Erwartungen unserer Freunde auf dieser Reise erfüllt werden. Aber das lag nun nicht mehr in meinen Händen...  

Obwohl unser Reisetag ein Sonntag war und wir theoretisch genügend Zeit zum Packen hatten, brach am letzten Tag Hektik aus in unseren vier Wänden. Ich brannte nämlich mit dem Bügeleisen in meine neu gekaufte Safaribluse ein Loch in den Kragen. Daraufhin war ich stundenlang bemüht, dieses Loch mit einem Aufkleber zu überdecken. Das Ergebnis liess zu wünschen übrig und so war ich auf die Unterstützung meiner Mutter angewiesen. Sie war zwar auch den ganzen Nachmittag damit beschäftigt, aber das Resultat konnte sich sehen lassen. Zum Packen und Kochen blieb nicht mehr viel Zeit übrig, aber irgendwie gehörte Stress am Abreisetag mittlerweile schon fast standardmässig zu unseren Ferien dazu...  Mein Vater holte uns wie immer Zuhause ab und brachte uns zum Flughafen. Das Gepäck war schnell aufgegeben und die Sicherheitskontrolle brachten wir auch problemlos hinter uns. Am Gate trafen wir unsere Freunde Hanspeter und Kriszta. Kurze Zeit später sassen wir im Airbus 333 der Edelweiss Air und hatten unsere Fotoausrüstung im Handschuhfach über uns verstaut.  Der Flug war nicht ausgebucht. So verteilten wir uns nach dem Start auf verschiedene Sitzreihen und versuchten ein wenig zu schlafen.

 

Montag, 23. September 2013: Arusha – Tarangire Nationalpark (Mawe Ninga)

Am nächsten Morgen kurz vor 8 Uhr landeten wir auf dem Kilimanjaro International Airport bei Arusha in Tansania. Das klingt gross, ist aber klein. Da es im Umkreis keine grössere Stadt gibt, hat man den Flughafen nach dem nahe gelegenen Bergmassiv benannt. Als wir aus dem Flugzeug stiegen, kam uns eine warme Brise entgegen und der Duft von Afrikas Staub lag in der Luft. Es ist ein wunderbarer Geruch und so langsam begriff ich, dass ich nach 1 ¾ Jahren endlich wieder afrikanischen Boden unter meinen Füssen hatte. Nach dem Zoll fiel uns auch schon ein Schild mit unseren Namen auf. Wir näherten uns dem Mann mit dem breiten Grinsen und bekamen ein „Welcome in Tanzania“ zu hören. Godfrey war für die kommenden vier Tage unser Chauffeur und Guide. Er brachte uns zum Jeep, verstaute unsere Reisetaschen im Auto und los ging’s... Die Fahrt führte uns über eine asphaltierte Strasse nach Arusha und damit mitten in afrikanische Betriebsamkeit. Bettgestelle, Hühner, Kühlschränke, Getränke und alte Reifen gehörten genauso zum Angebot wie Früchte, Kaffeebohnen und Mais. Wir stoppten in einer schmalen Gasse, wo Godfrey in einem kleinen Laden verschwand, um kurz darauf mit fünf Lunchpaketen in Papiertüten zurückzukommen. Ich fragte mich, was wohl darin verpackt war und hoffte, dass das Essen nicht verderblich war in der Hitze. Danach liessen wir Arusha schnell hinter uns und folgten der Teerstrasse nach Westen. Leider mussten wir nach einer Weile wegen Bauarbeiten auf eine ausgewaschene, staubige Erdpiste ausweichen. Godfrey legte mit 80km/h ein ordentliches Tempo hin - oh schreck - und so musste ich bereits zum ersten Mal ein Reisemedikament einnehmen. 

Schnell erledigte Godfrey die Formalitäten am Tarangire Gate und rüstete den Jeep für die Safari. Mit offener Dachluke aber mit Sonnendach stand unserer ersten Pirschfahrt nichts mehr im Wege. Kaum liessen wir die Parkgrenze hinter uns, begegneten wir grossen Herden von Gnus und Zebras. Dieser Tierreichtum war wirklich eine Freude und wir fotografierten was das Zeug hält ganz frei nach dem Motto „was ich hab, das hab ich“. Irgendwann fuhren wir langsam weiter, nicht ohne hier und dort wieder zu halten und neue Bewegungen zu beobachten. Es war schon lange nach 12 Uhr und mein Magen knurrte laut. Ich hatte Hunger und wurde mit jeder Minute ungeduldiger. Aber Godfrey fuhr immer weiter, bis wir schliesslich seinen persönlichen Picknickplatz erreichten, nur um herauszufinden, dass dieser bereits von Elefanten in Beschlag genommen wurde. Na toll. Immerhin liess sich Godfrey nicht allzu weit vertreiben, sodass wir doch noch zu unserem Mittagessen oder besser gesagt schon fast „Zvieri“ kamen. Endlich wurde auch das Geheimnis der Papiertüte gelüftet... Gekochte Eier, Bananen, ein zäher (und beinahe ungeniessbaren) Poulet Schenkel, trockener Kuchen und ein Biskuit waren in der Tüte versteckt. Naja aus den Socken haute uns das Essen nicht, aber immerhin war der grösste Hunger gestillt. Nur Godfrey ass nichts, schwitzte und lehnte sich ungewöhnlich ans Auto an. Erst auf unser Fragen erzählte er uns, dass er eine Magenverstimmung hatte. Wir versorgten ihn mit Medikamenten und hofften – für ihn und für uns - dass es ihm bald besser gehen würde, denn das Steuer wollte er uns nicht überlassen. Wir setzten die Fahrt fort. Unweit des Picknickplatzes standen zwei Fahrzeuge am Strassenrand. Innert Sekunden entdeckte Godfrey sowohl das tote Impala im Baum wie auch den Leoparden. Da die Katze genau hinter dem Baumstamm lag, konnten ihn die anderen Touristen aus ihrer Perspektive nicht sehen. Wenige Minuten später verliess auch der Leopard seinen „Picknickplatz“ und verschwand im Busch. Wir waren dankbar für diesen Moment und fuhren anschliessend zum Camp, welches wir mit Einbruch der Dunkelheit erreichten.

Das Mawe Ninga Camp ist auf einem imposanten Granitmassiv im Nordwesten des Parks errichtet. Bei Ankunft schnappten wir unsere Fotoausrüstung, um den wunderbaren Sonnenuntergang über dem Burungi-See vom Feuerplatz aus fotografisch festzuhalten. Mit einem kalten Drink bzw. einem Bier in der Hand liessen wir uns vom Sonnenuntergang und dem Ausblick über weite Teile der Parklandschaft verzaubern. Herrlich! Danach wurden wir von einem Massai zu unseren Zelten eskortiert. Es war ein gehöriger Fussmarsch über Stock und Stein bis zu den letzten Zelten Nummer 9 und 10. Die Zimmer waren einfach aber mit allem nötigen Komfort ausgestattet und von der Terrasse hätten wir rein theoretisch eine prächtige Aussicht über die Parklandschaft gehabt. Dafür war es allerdings zu dieser Uhrzeit zu dunkel. Nach einer kurzen Erfrischungspause liessen wir uns das Abendessen im gemütlichen Hauptzelt schmecken und fielen danach müde ins Bett. 

 

Dienstag, 24. September 2013: Tarangire Nationalpark (Mawe Ninga)

Am nächsten Morgen ging es um 8 Uhr verhältnismässig spät auf Pirschfahrt. Aber offenbar sind in diesem Park Tier und Mensch ein bisschen später auf den Beinen. Als erstes fuhr uns Godfrey zum Poachers‘ Hide, einem hohlen Baobab-Baum, den Wilderer zum Schlachten der erbeuteten Tiere benutzten. Wir krochen auf allen Vieren durch die kleine Öffnung ins Innere des Baumes. Der Hohlraum war erstaunlicherweise gross. Trotzdem war es ein beklemmendes Gefühl, in einem Versteck von Wilderern zu stehen. Godfrey knipste noch ein Gruppenfoto von uns, ehe ich wieder hinaus ins Freie krabbelte. Ich war ganz froh darüber, dass ich dieses Schlupfloch schnell wieder verlassen konnte. Auf unserer Weiterfahrt machten wir Bekanntschaft mit den lästigen Tsetsefliegen und veranstalteten ein Massaker. In diesem Park hatte es wirklich mehr Tsetsefliegen als Touristen und bevor wir zu einem kleinen See fuhren, mussten wir sogar die Dachluke schliessen, damit wir von den Blutsaugern nicht noch mehr überfallen wurden. Leider war der See verlassen, sodass wir unsere Fahrt Richtung Silale Sümpfe fortsetzten. Wir erreichten diese um die Mittagszeit. Godfrey lenkte den Jeep auf den Parkplatz beim Picknickplatz mit Aussicht auf die Überschwemmungsebene. Das Essen konnte sich jeder Gast am Morgen im Camp selber an einem Buffet zusammenstellen. Bei mir gab’s ein kleines Sandwich, Reis mit gekochten Karotten und Maiskörner sowie Tomaten-Zwiebelsalat. Ich war überrascht, wie gut das Essen schmeckte. Nach dieser Stärkung fuhren wir zum Ufer hinunter und trafen zeitgleich mit den ersten Elefantenherden ein. Was für ein Timing! Und „Nachschub“ kam reichlich... Im Laufschritt erschienen immer mehr Elefanten am Horizont. Inzwischen tummelten sich unglaublich viele Dickhäuter in der Ebene. Die einen dösten im Schatten von Akazienbäumen vor sich hin und wackelten mit ihren gewaltigen Ohren, die anderen marschierten entlang des Wassers und stillten ihren Durst. Besonders entzückend und äussert unterhaltsam war ein Elefantenbaby, welches in seiner eigenen grossen Badewanne planschte und fleissig Zirkuslektionen übte. Es schwang seinen Rüssel in der Luft herum, schnaubte, trompetete und suhlte sich im Schlamm. Wir konnten uns nicht satt sehen. Der kleine Elefant war goldig und zauberte uns mehrmals ein Lächeln ins Gesicht. Nach diesem Leckerbissen fuhren wir weiter südlich, in ein einsames, verlassenes Gebiet. Je weiter wir fuhren, desto aussichtsloser erschien es uns. Aber Godfrey hatte von vier Löwen gehört, die er uns zeigen wollte. Glücklicherweise lagen diese direkt neben der Strasse, denn im Tarangire Nationalpark ist Fahren abseits der Strasse verboten. Ein Löwe rollte sich auf den Rücken und streckte alle viere von sich. Auch die anderen lagen auf der faulen Haut und bewegten sich kaum. Nach einer Weile wollte Godfrey aufbrechen, wir zögerten die Rückfahrt noch etwas hinaus, willigten aber schliesslich - wenn auch widerwillig - ein. Mir war nicht bewusst, wie weit wir uns vom Camp entfernt hatten. Die Sonne rückte immer schneller dem Horizont entgegen und so mussten wir uns beeilen, um noch rechtzeitig vor Sonnenuntergang im Camp zu sein. Trotzdem entging dem scharfen und geschulten Auge unseres Fahrers und Guides nichts. Ihm verdankten wir die Sichtung einer Python, die aufgerollt und gut getarnt im Baum lag. Trotz vielen Tipps und Ferngläser konnten wir die Schlange erst nach 10 Minuten erkennen, Godfrey brauchte dafür ein paar Sekunden. Wahnsinn!

Aufgrund Godfrey’s zackigen Fahrstils erreichten wir das Camp noch vor Sonnenuntergang. Kriszta übte sich fleissig in Suaheli und bedankte sich beim Guide mit einem „Asanta Sana“ für den Tag.

 

Mittwoch, 25. September 2013: Tarangire Nationalpark (Mawe Ninga) – Ngorongoro Krater – Süd-Serengeti (Olduvai) 

Am dritten Morgen verliessen wir nach einem nahrhaften Frühstück um 7 Uhr das Camp. Wir hatten einen langen Tag vor uns bis in die Süd-Serengeti. Trotzdem gingen wir davon aus, dass wir bis zum Parkausgang eine Pirschfahrt machen würden. Ernüchternd mussten wir feststellen, dass Godfrey es vorzieht, eine Stunde länger im Bett zu bleiben, als seinen Kunden den Busch zu zeigen. Wie ein Irrer donnerte er zum Ausgang des Tarangire Parks, welchen wir eine Stunde später erreichten. Ehe Godfrey unser Ausfahrticket löste, warnte er uns vor den frechen Affen, die gerne aus dem Hinterhalt Attacken auf die Touristen reiten, um an Esswaren heran zu kommen. Deswegen liessen wir die Speisen im Jeep, als wir ausstiegen um ein paar Schritte zu gehen. Wir beobachteten nichtsahnend eine Meerkatze, die sich auf die Motorhaube unseres Jeeps setzte. Aus dem Nichts startete der Affe einen Angriff auf Marcus. Im ersten Moment erschrocken, wich er einen Schritt zurück. Dann aber ging er ebenso bestimmt und mit einem furchteinflössenden Laut auf den Affen zu. Mit dieser Reaktion hatte der vorlaute Kerl wohl nicht gerechnet. Er zuckte zusammen und machte sich aus dem Staub. Für uns Zuschauer war das natürlich eine willkommene Unterhaltung. Gleichzeitig fragte ich mich, wie lange es wohl dauern wird, bis das Äffchen sein nächstes Opfer „überfällt“. 

Als nächstes Etappenziel war der Ngorongoro Krater im gleichnamigen Natur- und Wildschutzgebiet geplant. Der Ngorongoro ist mit 16 x 20 Kilometer die zweitgrösste Caldera der Welt und das Herzstück des Gebiets. Vor 2½ Millionen Jahren implodierte hier ein Vulkan und hinterliess einen Krater, in dem sich heute mit Ausnahme von Giraffen (für die die Kraterwände zu steil sind) alles tummelt, was in der afrikanischen Tierwelt Rang und Namen hat. Auf der Fahrt Richtung Krater trieb Godfrey das rumpelnde Gefährt über staubige Pisten und durch tiefe Schlaglöcher. Dann änderte sich die Vegetation und wir gewannen an Höhe. Eine sehr schlechte, unübersichtliche Naturstrasse führte uns zum 2300 Meter hoch gelegenen Kraterrand. Der Blick vom Aussichtspunkt war eine frische Angelegenheit und deswegen so spektakulär, weil die Kraterwände 600 Meter steil abbrechen. Bei unserer Ankunft um 10 Uhr zogen allerdings dicke Nebelschwaden von den Kraterhängen hinab. Enttäuscht und ohne gewünschtem Panorama Foto fuhren wir weiter. Über den „Windy Gap“ führte eine katastrophale Steinpiste steil hinunter in den Krater. Glücklicherweise war es eine Einbahn-Verbindung, denn das Kreuzen mit einem Fahrzeug wäre schlichtweg unmöglich gewesen. Nach vier Stunden Transfer, es war mittlerweile 11.30 Uhr, erreichten wir endlich den Kraterboden. Gleich zu Beginn beobachteten wir fasziniert den Balztanz eines Straussenhahnes. Dabei kniete er mit weit geöffneten Flügeln vor der Straussenhenne nieder und schlug sich mit Hals und Kopf gegen seinen Brustkorb. Nach ein paar Minuten war die Henne paarungsbreit. Vor lauter Flügelschlag und Federn des Bräutigams blieb die Henne während der Begattungszeremonie allerdings fast vollständig verdeckt. Nach diesem speziellen Erlebnis fuhren wir weiter und bemerkten mit etwas Hilfe von anderen Touristen zwei Löwen beim Magadi See. Bei genauerem Hinsehen entdeckten wir an dieser Stelle 32 Tüpfelhyänen und im Hintergrund säumten Tausende Flamingos das Seeufer mit einem rosa Band. Für einmal faszinierten mich die Vögel mehr als die Raubtiere! Ich wäre so gerne näher herangefahren, aber leider führte keine Strasse zum See. Wehmütig setzten wir unsere Pirschfahrt fort, passierten einen Pool, in dem die Hippos friedlich in den Tag hinein lebten und steuerten schliesslich den einzigen Picknickplatz weit und breit an. Hier war Hochbetrieb und ich hatte den Eindruck, dass bald mehr Menschen als Tiere im Park unterwegs waren. Die wenigen sanitären Einrichtungen waren in katastrophalem Zustand und ich wunderte mich, wohin die horrenden Parkgebühren (USD 100 pro Person für maximal sechs Stunden) wohl hinfliessen. Nach dem Mittagessen sahen wir die üblichen Verdächtigen: Gnus, Zebras, Strausse, viele Löwen (beim Schlafen) und sogar zwei Spitzmaulnashörner „in der Grösse von Kürbiskernen“ (Zitat Kriszta), weil sie fürchterlich weit weg waren. Wegen Bauarbeiten auf der steilen Ausfahrtstrasse mussten wir den Krater schliesslich im Osten verlassen, was mit einem erheblichen Zeitverlust und in meinem Fall mit schwitzigen Händen einherging. Die 22 Kilometer bis zum Aussichtspunkt waren die reinste Strapaze. Trotz schlechter Sicht und mehrfacher Bitte meinerseits, das Tempo wegen Übelkeit doch zu reduzieren, fuhr Godfrey weiterhin wie ein Bekloppter und überholte Fahrzeug um Fahrzeug. Dankbar um eine kurze Pause stieg ich beim Aussichtspunkt aus. Nun präsentierte sich der Krater in seiner ganzen Schönheit, so dass es mit den Panorama Bildern doch noch klappte. Insgesamt war der Besuch des weltbekannten Vulkankraters, der zum UNESCO Weltnaturerbe gehört, für uns aber eher enttäuschend. Die tansanischen Nationalparkbehörden lassen sich den Spass ordentlich bezahlen. Umso überraschender ist der Massentourismus, der hier präsent war wie an keinem anderen Ort auf unserer Reise.

Noch drei Autostunden trennten uns von unserem Tagesziel in der Süd-Serengeti. Beim Einsteigen bat ich Godfrey noch einmal das Tempo den Strassenverhältnissen anzupassen, aber ich stiess auf taube Ohren. Immer hatte er eine faule Ausrede. Mit bis zu 85km/h bretterten wir in lebensmüder Manier über die sandige Wellblechpiste. Teilweise flogen wir sogar förmlich aus den Sitzen. Da half nur noch beten und eine doppelte Dosis Reisemedikament ...!

Mit Einbruch der Dunkelheit erreichten wir endlich unser Nachtlager. In totaler Abgeschiedenheit, verstreut am Fuss einer Kopje bieten die traditionell eingerichteten Zelte des Olduvai Camp einen komfortablen Schlafbereich. Nach einer warmen Dusche und mit vollem Magen fiel ich müde ins Bett und sank sofort in einen tiefen Schlaf. 

 

Donnerstag, 26. September 2013: Süd-Serengeti (Olduvai) – Nord-Serengeti (Serian Serengeti North) 

An diesem Tag stand eine lange Verschiebung auf dem Programm. Godfrey versuchte sich wieder ein paar Stunden mehr Schlaf herauszuschinden, aber diesen Trick kannten wir mittlerweile schon. Deswegen beschlossen wir, das Camp um 7 Uhr (statt um 8 Uhr wie von ihm vorgeschlagen) zu verlassen, sodass wir hoffentlich rechtzeitig für die Nachmittagspirsch in der Nord-Serengeti eintreffen würden.  

Die Serengeti ist der wohl bekannteste Nationalpark Afrikas und gehört zum Weltnaturerbe. Das Gebiet bildet gemeinsam mit der kenianischen Massai Mara und etlichen Pufferzonen ein fast 30’000 m² grosses Ökosystem und ist spätestens seit Bernhard Grzimek und seinem Film „Die Serengeti darf nicht sterben“ jedem kleinen Kind bekannt. So pilgern jährlich knapp 150’000 Touristen in den Park, darunter dieses Mal auch wir.

Auf unserem Weg gen Norden sahen wir eine Massai, die am Strassenrand braunes Wasser aus Pfützen schöpfte. Ich fühlte mich ein wenig - wie soll ich es beschreiben - beklemmt, bedrückt - ich weiss es nicht. In solchen Augenblicken denke ich oft über mein Leben in der Schweiz nach und wie gut wir es im Grunde doch haben. Auf unserer Weiterfahrt trafen wir kaum auf Tiere, noch begegneten wir anderen Fahrzeugen. Unser erstes Etappenziel waren die Simba Kopjes. Kopjes sind verstreute Ansammlungen runder Granitfelsen, umsäumt von dichter Vegetation, die eine reizvolle Abwechslung in der Weite der schier endlosen Savanne darstellen und darüber hinaus bevorzugte Verstecke und Spähposten von Raubkatzen sind. Um die Steinfelsen kurvten wir erfolglos, aber immerhin entdeckten wir bei einem Tümpel einige faule Flusspferde. Es war eine träge Angelegenheit, dennoch brachte uns ein Tier zum Schmunzeln. Ein Hippo lag nämlich auf dem Rücken und streckte seinen rosa Bauch und die Stummelbeine in die Luft. Nach dieser willkommenen Abwechslung setzten wir unsere Reise fort, denn uns stand noch ein hartes Wegstück bevor. Einige Gnus waren zu sehen, hier und da eine Zebraherde oder einige Topigazellen. Den ganzen Tag lang mühten wir uns über Geröll, Furchen und Schlaglöcher. Dazwischen liessen uns Bodenwellen vom Sitz abheben. Wenn ich nicht gerade vor mich hindöste (das funktionierte auch auf der Holperpiste prima), dann sog ich die einzigartige Landschaft in mich auf. Es gibt wohl keine Landschaft im Südlichen Afrika, welche der Serengeti annähernd entsprechen würde. Die schier endlosen Weiten, unterbrochen mit sanften Hügelzügen, prägen das Bild. Die Szenerie änderte sich, je weiter wir gen Norden fuhren. Es wurde immer grüner und feuchter, das Gras wurde niedriger und plötzlich war Endstation. Die Abkürzung zum Camp war zu feucht für den Jeep. Wir mussten umdrehen und den Umweg über die alte main road fahren. Die Strasse war ausgewaschen und grausam holprig - alles andere als was man von einer Hauptstrasse erwarten würde. Aber immerhin kamen wir voran, wenn auch langsamer als erhofft. Die offenen Grasebenen des südlichen Teils waren inzwischen Buschland mit viel Baumbestand gewichen. Auch das also ist die Serengeti. Mit jedem Kilometer erhöhte sich die Zahl der Gnubeobachtungen. Der Treck war bereits unterwegs nach Süden. Gruppen von Gnus ruhten auf der Piste, erhoben sich unwillig und wichen erst im letzten Moment aus. Aufgrund der vorzeitigen Regenfälle hatten sich viele Tiere bereits auf dem riesigen Gebiet südlich des Mara Flusses verteilt. Sollte der Regen und das üppige Gras die Tiere schon jetzt in die Serengeti gelockt haben? Auch Godfrey war der Meinung, dass schon sehr viele Gnus auf dem Rückmarsch waren. Das wäre eine grosse Enttäuschung für uns gewesen. Mit jedem Tier schmolzen unsere Hoffnungen mehr dahin... 

In der Nord-Serengeti angekommen, verabschiedeten wir uns auf dem Flugplatz in Kogatende von Godfrey und stiegen ins Fahrzeug unseres neuen Guide Masha ein. Im Serian Serengeti North Camp wird jedem Zelt / jede Gruppe ein privater Fahrer zur Verfügung gestellt. Dies ist ein Luxus, für den andere Lodges spürbare Aufpreise verlangen und es bietet den unschätzbaren Vorteil, dass der Gast seinen Tagesablauf selbst bestimmen kann. So reisen normalerweise nur Profi Fotografen, die den Safaritag ganz nach ihren Bedürfnissen gestalten wollen und bereit sind, dafür einen Zuschlag zu bezahlen. Masha wollte uns zurück ins Camp bringen, weil er vermutete, dass wir von der langen Reise erschöpft waren, doch wir bevorzugten einen Game drive. Dafür reisten wir ja schliesslich nach Afrika :-) Also ab auf Pirschfahrt! Masha lenkte das Fahrzeug querfeldein. Ich war überrascht über dieses Verhalten, denn ich meinte gelesen zu haben, dass Offroad fahren auch in der Nord-Serengeti verboten war. Naja, mir sollte es recht sein. Schon bald stiessen wir auf ein kleines Löwenrudel. Die Kätzchen ruhten natürlich noch im Schatten unter Sträucher, aber so langsam wurden ihre Lebensgeister geweckt. Es türmten sich nämlich graue Gewitterwolken am Himmel und der Sturmwind vertrieb die Schwüle des Tages. Masha wollte vor dem grossen Gewitter zurück im Camp sein. Deswegen machten wir uns frühzeitig auf den „Heimweg“. Unterwegs setzte der Regen ein, sodass wir trotz wenigen verbleibenden Fahrtminuten das Autodach schliessen mussten. Bei Ankunft im Camp prasselte der Regen bereits sintflutartig nieder, der Boden war aufgeweicht und matschig. Wir packten unsere Kameras in den Rucksack und liefen schnell ins trockene Lounge Zelt. Das Management begrüsste uns herzlich.

Das Camp besteht aus nur sechs Gästezelten sowie einem Speise- und einem separaten Lounge Zelt. Es ist jetzt in der Nord-Serengeti aufgeschlagen, doch sicher wird es bald schon wieder an anderer Stelle errichtet werden. Diese häufigen Standortwechsel sind ein unschätzbarer Vorteil des Camps gegenüber vielen anderen. Denn so wird sichergestellt, dass die Gäste immer möglichst nah an der grossen Herdenwanderung sind. 

Nach dem „Briefing“ wurden wir zu unseren Zelten gebracht – wieder waren wir im letzten Zelt Nr. 1 einquartiert. Jedes Zelt hatte vor dem Eingangsbereich ein kleines Sofa und zwei Stühle, im Hauptteil ein Doppelbett, und dahinter, durch Stoffbahnen abgetrennt, ein Badezimmer mit Spültoilette, Waschtisch und Dusche. Die Besonderheit war, dass es am Waschtisch und an der Dusche keine klassischen Wasserhähne gab, sondern die Dusche wurde von aussen mit warmem Wasser befüllt, und man drehte dann drinnen am Duschkopf den Hahn auf. Das Wasser wurde nach Bedarf bestellt und zur gewünschten Uhrzeit geliefert – typischerweise abends nach der Rückkehr von einer Pirschfahrt. Funktionierte prima, nur dass man nicht ewig duschen konnte, weil der Eimer irgendwann leer war – Sparsamkeit war also gefragt. Während wir die wichtigsten Sachen aus unseren Taschen kramten, hörten wir schon eine gute Seele rufen „hello, shower is ready!“ 

Beim Abendessen erfuhren wir, dass andere Gäste am Vortag eine wohl spektakuläre Überquerung gesehen hatten. Ich war grün vor Neid und hoffte, dass wir dieses besondere Faszinosum des Serengeti Ökosystems auch noch erleben durften. Übermannt von der Müdigkeit gingen wir mit vollem Magen erschöpft zu Bett und schliefen nur Augenblicke danach tief und fest.

 

Freitag, 27. September 2013: Nord-Serengeti (Serian Serengeti North) 

„Hello, good morning!“ ... Was, schon wieder morgen? Es musste 05.30 Uhr sein. Schlaftrunken quälte ich mir ein “Yes, good morning!“ heraus, da hörte ich wie der Reissverschluss des Zeltes aufgemacht und im „Badezimmer“ das heisse Wasser bereitgestellt wurde. Die Privatsphäre blieb gewahrt, ein guter Geist huschte herein und füllte die Wasch-Karaffe. Er verliess das Zelt wieder und wenig später hörte ich, wie auf dem Sofa vor dem Zelt der Tee abgestellt wurde, den wir am Vorabend geordert hatten.

Die Neugier auf den Tag half definitiv, um unter der warmen Decke hervorzukriechen. Schnell schlüpften wir in unsere kalten Kleider und wuschen uns das Gesicht. Während wir den heissen Tee schlürften, hörten wir im Hintergrund schon den Jeep tuckern, den unser Guide Masha für die Wildbeobachtungsfahrt vorbereitete. Mit Stirnlampen machten wir uns auf den Weg zum Auto und befestigten unser Stativ am Dachgestell des Jeeps. Da das Dach während der ganzen Fahrt offenblieb und wir im Fahrzeug aufstehen durften, war dies eine optimale Lösung, um die schwere Fotokamera zu stabilisieren. Kurz nach 6 Uhr verliessen wir als Erste das Camp.

Bei grossen Felskuppen (sogenannten Kopjes) entdeckten wir zwei Klippspringer. Während wir mit der Fotografie beschäftigt waren, hörte Masha ein (für ihn) eindeutiges Geräusch. Sofort legte er den ersten Gang ein und folgte dem Grollen, den Blick stets auf die Felsen gerichtet. Nach einigen Metern erspähten wir zwei Leoparden auf den Granitfelsen. Unser Herz machte Freudensprünge und die Kameras rasselten wie Nähmaschinen. Masha positionierte das Fahrzeug zwischen den Steinen mit perfekter Sicht auf die beiden Raubkatzen, die sich eifrig der Fortpflanzung widmeten. Das Ganze ging recht zügig vonstatten: ein kurzer Akt, Leopardenmännchen und Dame liessen sich erschöpft zur Seite fallen und nach nur 10 Minuten ging es bereits zur nächsten Nummer. Versäumte man die eine Gelegenheit, konnte man einfach auf die Nächste warten. Beeindruckt beobachteten wir Szene für Szene. Da kann der Durchschnittsmann wohl nur vor Neid erblassen und so kam der Leopard zu einem neuen Namen: Rocco Serengeti ...! :-)

Wäre da nicht unsere Nervosität bezüglich eventuellen River Crossings gewesen, so hätten wir bestimmt den ganzen Vormittag bei den Leoparden verbracht. So aber liessen wir die Katzen alleine und machten uns auf zum Mara Fluss. Ich hoffte und betete, dass wir die Grosse Migration noch sehen würden. Und tatsächlich ... Als wir den letzten Hügel passierten, sahen wir in der Ferne auf der gegenüberliegenden Uferseite einen lang gezogenen braunen Strom. Ein Anblick, der sofort verdeutlichte, dass es sich um eine immense Zahl handeln musste. Lange dunkle Reihen bewegten sich in raschem Tempo von rechts nach links und wieder zurück. Die Tiere waren sichtlich nervös und galoppierten pausenlos auf und ab. Ungeduldig und voller Erwartung beobachteten wir das Geschehen. An einem schattigen Platz neben einer Gruppe Akaziensträucher und in einiger Entfernung zum Ufer lenkte Masha querfeldein und brachte den Jeep zum Stehen. Dann meinte er in aller Seelenruhe „let’s have breakfast here“. Ich konnte es nicht fassen. Hier? Jetzt? Masha liess sich trotz unseren fragenden Blicken von seinem Vorhaben nicht abbringen, schlug Campingstühle und den Tisch auf und bereitete das Frühstück zu. Frische Ananas, Pfannkuchen, Joghurt und Früchtemüsli, Eier und Würste – das Buffet war reichlich gedeckt. Ich hatte längst Hunger, aber die Besorgnis, etwas zu verpassen, war grösser. Ich sass wie auf Kohlen. Doch meine Sorge war vergeblich, denn die Lage am Fluss blieb unverändert. Langes Warten war angesagt. 

Angetrieben von der Suche nach Wasser und frischem Gras, wandern rund 2 Millionen Huftiere jährlich in endlosen Reihen durch die Serengeti und die Massai Mara. Um dem sonst sicheren Tod zu entgehen, müssen die Herden im Verlauf eines Jahres im Uhrzeigersinn eine rund 1500 Kilometer lange Strecke von der südlichen Serengeti in die nördliche Massai Mara wandern und von dort über den im Osten liegenden Ngorongoro Krater wieder zurück in den Süden. Die sich wiederholenden Regen- und Trockenperioden halten diesen immerwährenden Kreislauf in Gang. Der dramatische Höhepunkt der Grossen Migration findet alljährlich im Spätsommer am Mara Fluss statt. Auf dem Weg durch die Savanne stauen sich die Tiere vor dem angeschwollenen Fluss. Und genau dort warteten wir noch immer, um hoffentlich Zeuge dieses eindrücklichen Ereignisses zu werden. Die Warterei zog sich in die Länge. Abwechslungsweise machten wir es uns auf der Sitzbank im Jeep bequem, dann liessen wir uns wieder in die Campingstühle fallen oder schlenderten über die Wiesen. Plötzlich sprang Masha auf und rannte zum Jeep zurück. Ein Blick zum Ufer und uns war sofort klar, dass das Spektakel losging. Aber wo blieb Marcus? Er hatte sich vom Auto entfernt und rannte nun die Böschung hinunter zurück zum Fahrzeug. Wie von einer Tarantel gestochen fuhr Masha zum Fluss. An Kameravorbereitung war nicht zu denken. Festhalten war angesagt. Adrenalin schoss mir durch die Adern: Ca. 3000 – 5000 Gnus und Zebras standen am anderen Ufer, bereit den Fluss zu überqueren. Was für ein Ereignis. Chaos herrschte im Fluss, die Zebras wieherten und die Gnus blökten. Manche rutschten, stolperten oder traten auf ihre Artgenossen. Der gewaltige visuelle Eindruck wurde durch die akustischen Reize enorm gesteigert. Inmitten von tausenden lärmenden Weissbartgnus zu stehen, war ein unbeschreibliches Erlebnis, das wirklich unter die Haut ging. 

Es ist schwer zu sagen, wie lange dieses Naturphänomen dauerte. Schnell verschwanden die Tiere auf der anderen Flussseite am Horizont. Einige Tiere verletzten sich allerdings und blieben zurück. Am häufigsten brachen sie sich eines ihrer dünnen Beine und humpelten auf drei Gliedmassen weiter. Dass Natur nach (wohlgemerkt) menschlichem Ermessen grausam sein kann, ist bekannt. Dass sie es hier aber darauf anlegt, Dutzende Tiere vermeintlich sinnlos leiden zu lassen – das ist eine neue, grenzwertige Erfahrung. Darüber musste ich erst mal nachdenken …!

Jedes Jahr passieren die Huftiere den Mara Fluss an denselben Übergangsstellen, dort wo sich der Fluss verjüngt und die Tiere am leichtesten auf die andere Seite kommen. Die Einheimischen nummerierten diese Stellen von 1 bis 10. Wenn im Juni / Juli in der Serengeti die Trockenheit beginnt, begeben sich die Weissbartgnus über viele hundert Kilometer hinweg in das Grasland der Massai Mara und überqueren den Mara Fluss zum ersten Mal auf ihrer jährlichen Reise. Dabei benützen sie die Übergangsstellen Nummer 1 bis 6, auf ihrer Rückreise im August / September / Oktober passieren sie den Fluss weiter östlich bei Nummer 7 bis 10. Das Ausmass dieser Massenbewegung ist überwältigend: ca. 2 Millionen Streifengnus und Zebras sind gleichzeitig in Bewegung. Dicht an dicht ziehen sie zu den neuen Futterplätzen, gefolgt von beutehungrigen Raubkatzen. Doch die grösste Bedrohung für die Tiere und der gesamten "Great Migration" geht vom Menschen aus. Die tansanische Regierung plante durch das Gebiet der Grossen Wanderung den Bau einer Autobahn. Der rund 500 Kilometer lange Highway sollte die Stadt Arusha im Osten mit dem Victoriasee im Westen Tansanias verbinden – und so wirtschaftlichen Fortschritt in den unerschlossenen Süden des Landes bringen. Ein solcher Bau hätte katastrophale Folgen. Die grosse Tierwanderung würde ständig mit dieser Strasse kollidieren. Die Herden könnten von ihren traditionellen Routen abweichen, wichtige Wasserstellen verpassen, Menschen und Tiere bei Zusammenstössen verletzt oder getötet werden. Die bereits bestehende, unbefestigte Piste durch das Gebiet wird von den tierischen Bewohnern toleriert. Sie ist allerdings als Handelsweg ungeeignet. Ich kann nur hoffen, dass eine alternative Route für Güter- und Fernverkehr gefunden wird, um der einzigartigen Tierwanderung weiterhin Platz zu überlassen.

Via Funk hörte unser Guide, dass es beim Crossing Point Nr. 8 ebenfalls eine grosse Ansammlung von Tieren gab. Also rumpelten wir über die Erdpisten zur nächsten Übergangsstelle, welche nur 10 Minuten entfernt war und sich unmittelbar vor dem Olakira Mara Camp befand. Wir hielten in einigem Abstand zum Ufer und es war Zeit, dieses sagenhafte Phänomen in sich aufzusaugen. Auf weiten Strecken hatte sich der Strom tief in den Untergrund gefressen. Die Steilwände waren meterhoch. Die Herde ist durch viele Prüfungen gegangen. Am Mara Fluss wartete nun die grösste Herausforderung ihrer Wanderung. Brüllend, schnaubend und bockend galoppierten die Gnus entlang der Steilwand hin und her. Schliesslich stürzten sie sich waghalsig die steile Böschung hinunter. Als ein mutiges Tier den Anfang machte und in die Fluten sprang, folgten ihm sogleich hunderte Artgenossen. Wir düsten die letzten Meter zum Ufer, die Kameras bereit zum Dauerfeuer, einen Ersatzchip und Ersatzakku griffbereit. Die ersten Gnus erreichten bereits das andere Ufer. In der Panik wurden allerdings die einzelnen Tiergruppen innerhalb der grossen Herde auseinander gerissen. Die Gnus, die es auf die gegenüberliegende Seite geschafft hatten, riefen beharrlich nach dem Rest ihrer Herde. Wir waren umgeben von Hunderten Tieren, die sich bei ihrem Marsch von nichts (und noch weniger von uns) aufhalten liessen. Es war schwer, sich einen Überblick zu verschaffen. Ganz umgeben von Tiergruppen, die teilweise von Zebras durchsetzt waren, drehte ich mich langsam um 360 Grad. Zwischendurch legte ich die Kamera einfach mal weg und genoss diesen besonderen Moment staunend wie ein Kind. Teilweise folgten die Nachzügler dem Drängen ihrer Familienmitglieder und die Herde war wieder vereint. Die Gnus zogen nur fünf Meter von unserem Fahrzeug entfernt in langen Linien in eine Ferne, in die sie ein uralter Instinkt magisch lockt. 

Überglücklich fuhren wir nach diesem unvergesslichen Erlebnis weiter und entdeckten die beiden Leoparden an leicht anderer Stelle wieder.  Der kleine Regenschauer, der soeben vom Himmel kam, konnte uns die Stimmung nicht vermiesen. Masha legte die Plastikbahnen über das Auto und für die Kameras hatten wir wasserdichte Beutel bzw. einen Regenschutz dabei. So konnten wir trotz Wolkenbruch die beiden Leoparden ablichten, die sich noch immer der Fortpflanzung widmeten. Von Dauer war das nasse Wetter aber nicht, so dass wir schon bald wieder „oben ohne“ fahren konnten. Die beiden Katzen wanderten im Laufe des Nachmittags etwas umher, wir waren ihnen dicht auf den Fersen. Masha war jedoch unruhig. Es stellte sich heraus, dass Ranger in der Nähe waren. Masha war besorgt, dass er eine Busse für Offroad-Fahren kassieren könnte. Doch als er sah, dass auch die Wildhüter um die Steine manövrierten und sich über die Anwesenheit der Leoparden erfreuten, entspannte er sich wieder. Noch immer verführte die Leopardin das Männchen vor unseren Augen und liess uns zig 30-Sekunden-Liebesakte erleben, die mit einem zärtlichen Nackenbiss endeten.

Als es fast dunkel war, machten wir uns auf den Heimweg, völlig erledigt nach einem langen und ereignisreichen Tag, an dem wir ein ursprüngliches, die Sinne betäubendes Afrika erlebten, wie man es intensiver kaum noch erfahren kann.

Samstag, 28. September 2013: Nord-Serengeti (Serian Serengeti North)

5.30 Uhr. „Good morning! Wake up call!” Es war wieder so weit. Der Reissverschluss ging auf, ein Krug heisses Wasser wurde gebracht und ein Tablett mit Keksen und Tee blieb zurück. Rasch machten wir uns fertig und gönnten uns nur zwei Minuten für den Tee mit Blick in eine Dunkelheit, die ganz langsam schon einer jungen, verheissungsvollen Dämmerung wich. Das alte Kribbeln war da. Welche Begegnungen hielt wohl dieser Tag für uns bereit? Mit Taschenlampe machten wir uns auf den Weg zum Jeep, so dass wir pünktlich um 06.00 Uhr das Camp verliessen. Eingepackt in warmen Fleecejacken tuckerten wir langsam zum Mara Fluss. Es ist das reichlich vorhandene grüne Gras in der Massai Mara, das die Gnus in den Norden treibt. Dort regnet es etwa dreimal so viel wie in der südlichen Serengeti, was den Tieren Wasser liefert, das sie wie das Gras so nötig haben. Auch der Mara führt das ganze Jahr über Wasser. Der Fluss ist bisher selbst in den grössten Dürrezeiten nie ausgetrocknet und bildet die Lebensgrundlage der ganzen Region. Im weiten Bogen zieht er durch den Norden der Serengeti, er ist aber mit seinem Wasser nicht nur ein Segen: Er kann auch zur tödlichen Barriere werden. So stellte sich der Mara auch an diesem Tag einer weiteren grossen Gnuherde in den Weg. Wieder war warten angesagt. Der wolkenlose Himmel deutete auf einen heissen Tag hin. Nach einer Weile flog ein Heissluftballon direkt über die Gnuherde. Die ungewohnt lauten Geräusche verängstigten die Tiere, weshalb sie in alle Richtungen davonstoben. Es dauerte seine Zeit, bis sich die Tiere wieder beim Ufer einfanden. Diese Zeit liess Masha nicht ungenützt verstreichen. Wir schlugen den Campingtisch auf und frühstückten gemütlich. Unglaublich! Ein ziemlich unwirkliches Gefühl, sich dort in einen Campingstuhl zu setzen und ein Früchtemüsli zu löffeln! Dann geschah es: Kaum hatten wir Tisch und Stühle ausgepackt und das erste Ei geschält, sprang ein mutiges Gnu in den Fluss. Wir wirbelten umher, schmissen die Esswaren, welche auf der Klappe auf der Rückseite des Jeeps standen, in die Kühlbox bzw. ins Fahrzeug und fuhren wie von einer Tarantel gestochen in Richtung Fluss. Noch immer stürzten sich die Gnus beherzt in die Fluten. Clowns der Steppe werden sie genannt - und sie machten diesem Namen immer wieder Ehre. Mit waghalsigen Bocksprüngen sprangen sie ins Wasser und schwammen um ihr Leben. Wann immer möglich nahmen sie Kurs auf die Steinfelsen, die wie kleine Inseln aus dem Wasser ragten. Man könnte fast meinen, dass sie davon magisch angezogen wurden. Einige konnten dort eine kurze Verschnaufpause einlegen, anderen aber wurden die glitschigen Steine zum Verhängnis. Dann stockte die Überquerung. Die zurückgebliebenen Gnus teilten sich in zwei Gruppen und strömten in entgegengesetzter Richtung auseinander.

Wir fuhren zurück zu unserem Campingtisch und den Stühlen, wo wir uns nun das Frühstück schmecken liessen. Jetzt konnte auch ich die leckeren Pfannkuchen geniessen. Danach begaben wir uns wieder auf Pirschfahrt, denn Masha hatte eine Überraschung für uns bereit. Wir holperten über Stock und Stein vorbei am Olakira Camp. Das Land war hier häufig gewellt, selten gab es flache Ebenen wie im Süden. Die Sonne brannte mittlerweile erbarmungslos herunter und wir waren froh, dass der Fahrtwind etwas Kühlung verschaffte. Marcus hatte bereits leicht gerötete Arme. Um ihn vor einem Sonnenbrand zu schützen, band ich ihm meinen Schal lose um Arme und Nacken. So war er vor der Sonne geschützt, konnte aber trotzdem uneingeschränkt fotografieren. Nach einer halben Stunde wurde Masha‘s Geheimnis gelüftet. Ein Nashornmännchen suhlte sich in einem kleinen Schlammloch. Es war unsere erste Begegnung mit einem Spitzmaulnashorn und die erste Nashornbeobachtung für unsere Freunde überhaupt. Nach einer Weile erhob sich der Koloss und spazierte gemütlich durch das Wäldchen, immer wieder an den seitlichen Büschen knabbernd. Masha drängte zum Weiterfahren. Erst als er uns mit einer weiteren, speziellen Beobachtung köderte, willigten wir ein. Und es hat sich mehr als gelohnt, denn wir entdeckten als unerwarteter Höhepunkt eine Nashornmutter mit Baby im Schlepptau. Die beiden lösten grenzenloses Staunen und grosse Begeisterung aus. Wir zückten unsere Kameras und feuerten wie wild drauf los. Dem Baby fehlten noch Horn und Ohrmuscheln, welche erst ab dem ca. dritten Lebensmonat zu wachsen beginnen. Der kleine Spitzbub mit Kriegsbemalung (aus Schlamm) sah ziemlich ulkig aus. Wir konnten der kleinen Nashornfamilie sehr nahekommen, ohne dass sie Furcht zeigten. Es war eine wahre Freude! Masha erklärte uns, dass Spitzmaulnashörner in der Serengeti sehr selten gesichtet werden, was unsere Beobachtung noch ein Tick besonderer machte.

Quer über die Wiesen fuhren wir weiter zu einem alleinstehenden Baum, in dessen Schatten wir eine Mittagspause einlegen wollten. Allerdings hatten die Geier ähnliches vor. Die (Stink-) Tiere sassen zu Dutzenden auf diesem Baum, starrten alle in eine Richtung und warteten offenbar auf ein reichhaltiges Mahl. Tatsächlich versammelten sich die Gnus bereits wieder am Ufer des Mara Flusses. Während wir unser Mittagessen genossen und die Gnuherde beim Crossing Point Nr. 10 beobachteten, zog eine Elefantenherde mit Jungtieren friedlich an uns vorbei. Ich kam mir vor wie in einem Film! Von einer Sekunde auf die andere war es aber vorbei mit der Ruhe. Ein wagemutiges Gnu trat die Reise durch's Wasser an und der Rest der Herde folgte ihm ohne zu zögern. Vor lauter Aufregung konnte ich den letzten Bissen nicht mehr herunterschlucken. Das zweite Crossing an diesem Tag (und unser fünftes insgesamt) löste grosse Euphorie aus. Im Aufräumen unter Zeitdruck hatten wir mittlerweile Übung. Dann trieb Masha das rumpelnde Gefährt durch tiefe Löcher und über dicke Wurzeln zum Flussufer hinunter. Wieder war festhalten angesagt. Um Ufer angekommen, fielen uns sofort die vielen leblosen Leibern auf, die der Fluss mit sich trug. Was lässt sich Mutter Natur da nur für grausame Methoden einfallen, um einer Überpopulation entgegenzuwirken? Sie stattet die Gnus mit so wenig Intelligenz aus, dass sie nicht auf die sinnige Idee kommen, etwas weiter flussabwärts die Hürde zu nehmen, wo der Fluss zwar breiter, dafür aber weniger steinig und die Strömung vor allem nicht ganz so reissend ist wir hier? Ist das nun trickreich oder brutal? Nichts dergleichen. Schöpfung lässt sich nicht in gefühlsmässige, menschelnde Attribute einordnen, das ist mir schon klar. Sie ist nicht grausam oder gnädig, nicht niedlich oder erbarmungslos. Natur ist, Punkt. Das ist die Erkenntnis in diesen Tagen. 

An diesem Tag nutzte auch ein Krokodil die Gunst der Stunde und attackierte ein hilfloses Tier. Das einzelne Gnu kämpfte gegen einen unsichtbaren Feind und versank schliesslich für immer in den Fluten. Die anderen Gnus hingegen nutzten die Notlage ihres Artgenossen, um sicher ans andere Ufer zu gelangen. Diese gefährliche Übergangsstelle erforderte zahlreiche Opfer. Doch Tausende Tiere erreichten unverletzt das andere Ufer. Ihr unbändiger Wille, jedes Hindernis zu überwinden, macht die Gnus zu den erfolgreichsten Grosstieren der Serengeti. Nach den Erfahrungen in den letzten zwei Tagen schaute ich die Gnus mit ganz anderen Augen an. Zu den Schönheiten gehören sie definitiv nicht, einer afrikanischen Legende zufolge soll Gott das Gnu sogar aus lauter "Ersatzteilen" geschaffen haben, aber ihre Leistung und ihr Mut verdienten grössten Respekt. 

Während wir flussabwärts fuhren, beobachteten wir viele Gnu Leiber, die leblos den Fluss hinabtrieben. Das Ausmass war gewaltig und ein penetranter Gestank hing in der Luft. Für die Krokodile ist es die Zeit des Überflusses. Ihnen wird es in den kommenden Monaten an nichts fehlen. Wir verliessen das Flussufer und fuhren landeinwärts, wo wir einen müden Löwen antrafen. Nichts aber auch gar nichts brachte ihn dazu, sich in der Hitze des Tages zu bewegen. Zum Pascha gehörten auch noch eine Löwendame und zwei Junggesellen, die etwas weiter im Schatten ruhten. In einiger Entfernung von den Raubtieren graste genüsslich eine Gruppe Gnus, nichts ahnend, dass sich in unmittelbarer Nähe gerade vier hungrige Löwen befanden. Ein Junglöwe bemerkte die Grasfresser und brachte sich hinter einem Hügel in Lauerstellung. Es waren nur noch wenige Meter bis zu den Gnus. Diese witterten noch immer nichts. Unsere Anspannung stieg, die des Löwen auch. Er bewegte sich nicht, nur mit seiner dunklen Schwanzspitze wedelte er langsam hin und her. Das Gnu kam näher. Und plötzlich ...  Aus dem Nichts schoss der Löwe hervor und sprintete auf das grasende Gnu zu. Von diesem Angriff völlig überrascht, stellte sich das Gnu seinem Verfolger. Es drehte sich um und schaute seinem Feind direkt in die Augen. Mit dieser Reaktion hatte der unerfahrene Löwe nicht gerechnet. Er war völlig aus dem Konzept... Der Löwe drehte sich um und rannte davon, das Gnu tat es ihm gleich, nur dass es in die andere Richtung flüchtete. Nach dieser aufregenden Szene setzten wir unsere Fahrt langsam in Richtung Camp fort. Beim Crossing Point Nr. 7 stauten sich die Massen schon wieder am Fluss. Die untergehende Sonne tauchte alles in ein zauberhaftes warmes Licht. Wir hielten an und ich sog die märchenhafte Stimmung in mir auf. Für eine Flussüberquerung war es für die Tiere bereits zu finster. Mit zunehmender Dunkelheit kehrte wieder Ruhe am Fluss ein. Und es übernahmen andere Bewohner des Mara die Bühne. Pragmatisch mahnte Masha irgendwann zur Rückkehr und schweren Herzens, doch dankbar für diesen Tag, fügten wir uns.  

Es war ein unbeschreiblich schöner Tag, der leider viel zu schnell verging. In der Serengeti liegt wirklich noch ein kleiner Schatz vor der "Haustür". Ich war überglücklich, dass ich dieses Paradies kennen lernen durfte.

 

Sonntag, 29. September 2013: Nord-Serengeti (Serian Serengeti North)

Mit dem Sonnenaufgang um 6.00 Uhr waren wir startklar und machten uns auf die Suche nach neuen Fotomotiven. Heute stand eine unheimliche Fahrt über eine Betonbrücke an. Die Regenfälle liessen den Mara Fluss ansteigen, weshalb die Abbruchkante der Brücke in der braunen Wassermasse verschwand. Masha peilte die Brücke an. Dabei fiel Kriszta fast das Herz in die Hose, vorallem weil uns der Camp Manager am Vorabend erzählte, dass die Wassermassen immer wieder unterschätzt werden und es zu ca. fünf Unfällen pro Jahr kommt. Aber Masha fuhr wie auf Schienen durch den Fluss hindurch und brachte uns sicher ans andere Ufer. Das Land jenseits des Mara war flach und ist Heimat von drei Gepardenbrüder, die wir natürlich gerne gesehen hätten. Stattdessen trafen wir auf eine Löwenfamilie bei einem Gnukadaver. Leider konnten wir die Löwen gar nicht geniessen, denn irgendetwas stimmte mit unserer Kameraeinstellung nicht mehr. Als ich durch den Sucher schaute, waren die Löwen verschwommen, auf dem Foto im Display konnten wir aber keine Unschärfe erkennen. Wir waren nervös und machten einige Tests. Dann kam mir die zündende Idee, dass die Dioptrien verstellt sein könnten. Und so war es dann auch. Erleichtert fuhren wir weiter und entdeckten in unmittelbarer Nähe den Rest des Löwenrudels, bestehend aus zwei Löwenmännchen, zwei Weibchen und zwei Babies. Ihre Bäuche waren sichtbar voll. Nun lagen sie da, als hätten sie die ganze Nacht durchgefeiert. Liegen, gucken, mit dem Schwanz wedeln, blinzeln, gähnen und mal kurz in die Runde blicken – mehr war nicht drin. Unweit der Löwen graste friedlich eine Gnuherde vor einem grünen Hügel, vereinzelt schmückten ein paar Schirmakazien das Land. Es war ein wundervoller Anblick!

Wir liessen die Löwen in Frieden ruhen und fuhren an die natürliche Grenze zur Massai Mara, einzig markiert durch Betonpfeiler. Es ist irgendwie absurd, dass Reisende den Umweg über Tarime bzw. Migori auf sich nehmen müssen, um ins Nachbarland einreisen zu können, wenn doch die Fahrt innerhalb des Serengeti Ökosystems viel schneller und vorallem viel spannender wäre. Im Kgalagadi Nationalpark ist das definitiv besser gelöst. So langsam meldete sich unser natürlicher Instinkt in Form von Magengrummeln.  Wir hielten an der Landesgrenze an und schlugen Campingtisch und –stühle auf. Das Frühstück war, wie schon an den Vortagen, sehr lecker, besonders die Pfannkuchen hatten es mir angetan. Während wir nach dem Essen noch gemütlich plauderten, fragte mich Kriszta plötzlich: „Was ist denn das?“ Ich drehte mich um und traute meinen Augen nicht. Eine Servalkatze versuchte unbemerkt an uns vorbei zu schleichen. Ich schnappte meine Kamera und folgte der kleinen Raubkatze vorsichtig zu Fuss. Ich war viel zu aufgeregt, als dass ich die Kamera mit dem schweren Objektiv im Stehen hätte stabilisieren können. Also ging ich zurück zum Auto, wo Masha bereits eifrig Esswaren und Campingausrüstung wegräumte. Dann hüpften wir in den Jeep und fuhren der Katze hinterher. Sie war ganz entspannt und setzte sich schliesslich ins Gras. Unsere Kameras liefen mit hoher „Drehzahl“. Uns erfüllte eine grosse Zufriedenheit, dieses seltene Tier am helllichten Tag zu sehen. Es ist wie immer auf Safaris: Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, das ist das Glück des Augenblicks!

Nach diesem fotografischen Leckerbissen zog es uns zurück zum Mara Fluss. Beim Crossing Point Nr. 7 standen die Gnus schon wieder bereit. Wir stellten den Wagen ab, nippten an unseren Getränken und warteten auf die Entscheidung der Gnus, ob das Gras nun wirklich grüner ist auf der anderen Seite des Flusses. Kein anderes Auto und kein menschliches Geräusch trübte unser Wildniserlebnis. Die Sonne brannte uns gehörig auf den Pelz. Den Gnus schien die Hitze wenig auszumachen. Nach einer Weile sprangen zwei Gnus ins Wasser. Wir waren bereits in den Startlöchern, doch die anderen Tiere zögerten. Schliesslich folgten ihnen ein Dutzend Tiere. Wir rasten zum Ufer hinunter. Fehlalarm... Also ging es wieder zurück in die Ausgangsposition. Werden die Gnus heute noch den Fluss überqueren, fragte ich. Unser Guide wiegte seinen Kopf diplomatisch hin und her, sagte „You never know!“ und grinste. Er kannte die immerwährende Frage seiner Gäste nur zu gut. Kaum zu glauben, dass eine solche Masse an Tieren so viel Spekulation und ungewisse Gerüchte auslöst. Man muss sich vor Augen halten, dass die Tiere keinem festen Fahrplan folgen. Ihre Bewegungen werden durch die lokalen Regenfälle und die Verfügbarkeit von Gras bestimmt. Es gibt grössere Splittergruppen, die ihre eigenen Wege gehen. Nur eine allgemeine Wandertendenz und Erfahrungswerte machen bestimmte Regionen zu den jeweiligen Jahreszeiten zu Orten, die beste Beobachtungschancen versprechen. Wir verbrachten den ganzen Nachmittag am Ufer, aber das Crossing blieb an diesem Tag aus.

Zurück im Camp gab es nach einer herrlichen Dusche ein warmes Abendessen. Gegessen wurde im Zelt an einer langen Tafel. Die anderen Gäste waren nicht ganz auf unserer Wellenlänge. Deshalb verabschiedeten wir uns kurz nach dem Essen von der Gesellschaft und zogen uns in die eigenen vier (Zelt-) Wände zurück.

In der Nacht weckte mich ein Rascheln auf. Ich hob den Kopf und schaute vom Bett aus durch die Zeltwand aus Moskitonetz in den Busch hinaus. Es war dunkel, aber im Schatten der Öllampe erkannte ich ein Zebra, das das frische Gras um unsere Zelt-Fussmatte herum abzupfte. Ich weckte Marcus. Auch er freute sich über unseren Besucher. Nach einem verschlafenen Blick auf die Uhr drehte ich mich noch einmal um und schlief tief und fest bis mich das Handy am nächsten Morgen aus dem Schlaf klingelte.

Montag, 30. September 2013: Nord-Serengeti (Serian Serengeti North) – Massai Mara (Nkorombo)

Kurz vor 6 Uhr eilten wir mit Sack und Pack zum Jeep. Masha wartete bereits am frühen Morgen mit einer Überraschung auf mich. Mein Leinenhemd, das am Vortag nicht mit dem Rest der Wäsche zurückgekommen ist, wurde gefunden. Ich hatte das Hemd schon abgeschrieben und freute mich umso mehr darüber. Trotzdem war es ein schwerer Tag. Wir mussten nämlich die Serengeti verlassen. Bei der Planung konnte ich nicht ahnen, wie sehr sie mich in ihren Bann zieht. Hätte ich es geahnt, wäre die eine oder andere Station auf dem Weg einem erweiterten Aufenthalt hier zum Opfer gefallen. Ein letztes Mal rumpelten wir durch eine kalte Morgenluft über ausgewaschene Wege Richtung Mara. Ein Teppich aus frischem Grün bedeckte die Steppe.

Eine halbe Stunde später erreichten wir Crossing Point Nr. 7, wo bereits die ersten Gnus anmarschiert kamen. Es dauerte noch einen Moment, bis die Gnus den Fluss an dieser Stelle passieren würden. Deshalb versuchten wir unser Glück bei Crossing Point Nr. 8. Wie schon bei der ersten Übergangsstelle waren wir auch hier ganz alleine. Zurückversetzt vom Ufer parkte Masha unseren Jeep. Mir stockte wieder einmal der Atem, während mein Herz Purzelbäume schlug... Hier trafen wir auf eine gigantische Ansammlung von Gnus, wie ich in meinen kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt habe. Tiere soweit das Auge reicht bis sie am Horizont nur noch als schwarze Punkte zu erahnen waren. Zu Tausenden standen sie dicht beieinander, weitere kamen in stetem Strom von Norden hinzu. Immer mehr Grüppchen schlossen sich zusammen, die wandernde Gemeinschaft wuchs an, zog sich auseinander, staute sich irgendwo wieder auf, um plötzlich wieder in schaukelnden Galopp zu verfallen. Es waren geschätzte 8000 Tiere, die wir inzwischen im unmittelbaren Blickfeld hatten. Die vielen Tiere vor der herrlichen Landschaft waren für mich der Inbegriff der Serengeti. Alleine dieser Anblick war überwältigend! 

Kurz nach unserer Ankunft stürzten sich die ersten Gnus waghalsig die Böschung hinab. Binnen Minuten rollte eine regelrechte Lawine aus Tierleibern die Uferböschung hinunter. Am Ufer stauten sich die Massen und hinter ihnen drängten panisch Tiere nach. Die steinige Trockenzone füllte sich immer mehr. Die vordersten Tiere standen bereits im Wasser und marschierten parallel zum Ufer weiter. Alle wollten hinüber, doch keiner wollte den ersten Schritt tun. Die Anspannung der Tiere war fast greifbar. Auch die Kälber wussten diesmal, was auf sie zukam. Doch es gab kein zurück. Stillstand würde für viele von ihnen den Hungertod bedeuten. Während die Herde immer grösser wurde, wuchs die Ungeduld der Tiere. Schliesslich war die Zeit reif. Ein Gnu machte den Anfang und ging zögernd voraus. Die Spannung entlud sich und nichts schien die Tiere mehr aufhalten zu können. Die Nervosität schlug in Panik um. Rasend vor Angst zurück bleiben zu müssen, suchten sich die Gnus immer neue Wege durch die Fluten. Der Lärm, den sie veranstalten war meilenweit zu hören. Am anderen Ufer angelangt, zogen die Massen sofort weiter, als wäre nichts passiert. Es ging nach Süden, zurück in den tansanischen Teil der Serengeti, wo düstere Wolken die Regenzeit ankündigten. Dann kam die Überquerung ins Stocken. Von Panik getrieben schwammen die Tiere zurück an Land und kletterten die Böschung wieder hinauf. Ein einzelnes Tier blieb auf den Steinfelsen im Wasser zurück. Es hatte sich ein Hinterbein eingeklemmt und versuchte sich verzweifelt zu befreien. Es schien ein aussichtsloser Kampf zu sein. Doch die Angst verlieh dem Gnu neue Kräfte und schliesslich schwamm es zurück an Land. Wir jubelten. Doch als das Tier erschöpft aus dem Wasser stieg, mussten wir mit Entsetzen feststellen, dass es sich bei der Befreiungsaktion das Bein gebrochen hatte. Die erlittenen Verletzungen waren das Todesurteil für das Gnu. Dem armen Tier stand ein langer Leidensweg bevor. Schon nach wenigen Minuten sprang erneut ein mutiges Tier in den Fluss und wieder folgten ihm sogleich hunderte Artgenossen. Für diese Tiere begann ein Wettlauf um’s Leben. Die Strömung war reissend. Die Masse staute sich bei den Steinfelsen, die wie kleine Inseln aus dem Wasser ragten. Von hinten drückten die Nachfolgenden, es war ein heilloses Gedränge und Geschiebe, lautes Geblöke erfüllte die Luft. Die Tiere keilten sich ineinander, einige schafften es nicht oder rutschten auf den glitschigen Steinfelsen aus und brachen sich ihre dünnen Beine. Ältere, schwache oder kranke Tiere wurden zertrampelt, andere kamen vom Weg ab. Doch wer mit der grossen Herde nicht mitkam, war verloren. Mittlerweile lag viel Staub in der Luft und die Sicht verschlechterte sich drastisch. Ein Grossteil hatte es bereits hinüber geschafft, doch etliche waren noch unentschlossen. Aufgrund der schlechten Sichtverhältnisse wagten es die verbleibenden Tiere vorläufig nicht mehr ins Wasser.  

Ich stand noch immer sprachlos da. Gefesselt von diesem einzigartigen Erlebnis, das bei mir zweifellos für Gänsehaut sorgte, konnte ich den Blick noch immer nicht von den Hauptdarstellern der Grossen Migration wenden. Es war unheimlich intensiv, faszinierend und traurig, gigantisch und spektakulär ... Keine Kamera konnte Momente wie diese so festhalten, wie sie mir in Erinnerung blieben. Ich kann nur hoffen, dass uns dieses sagenhafte Phänomen auch weiterhin erhalten bleibt. Denn was die Tiere brauchen, ist ein Gut, das knapper ist denn je – Platz zum Wandern. Freies, wildes Land. Heute entscheiden Menschen über das Schicksal dieses einzigartigen Naturschauspiels und ob die grosse Wanderung wie schon seit Jahrtausenden weitergehen kann, durch die Weiten der Serengeti. 

Nach diesem unvergesslichen Erlebnis parkten wir das Auto wieder etwas abseits des Ufers und genossen erstmals ein nahrhaftes Frühstück. Während der Überquerung kam ein zweites Fahrzeug vom Olakira Camp hinzu, das jedoch bereits wieder weggefahren ist. Nun traten auch wir gemütlich den Heimweg an. Beim Crossing Point Nr. 7 passierte die Herde mittlerweile den Fluss. Wir fuhren trotzdem langsam weiter, um rechtzeitig beim Flugplatz einzutreffen.  Doch bevor wir uns endgültig auf den Rückweg machten, hatte unser Guide noch ein weiteres Ass im Ärmel. Er brachte uns zu einer Gepardenmutter mit zwei Jungtieren. Als wir ankamen, waren wir alle hin und weg. Die winzig kleinen Fellknäuel waren zuckersüss und gerade einmal 4 Wochen alt. Zwar versteckten sie sich zu Beginn noch im Gestrüpp, doch schon nach wenigen Minuten siegte die Neugier und die kleinen Wonneproppen krochen aus ihrem Zufluchtsort. Schnell hoben wir die Kameras und drückten auf den Auslöser was das Zeug hielt. Die Geparde waren noch sehr jung, was wir an ihrem Nackenfell erkennen konnten. Der auffällige „Irokesenschnitt“ der Gepardenjungen bildet sich erst nach etwa drei Monaten langsam zurück. Unsere zwei hatten noch einen sichtbaren weissen Flaum und sahen damit einfach süss aus. Was für ein grandioser Abschluss – auch wenn mir der Abschied nach diesem Tag noch schwerer fiel! Es war wie immer auf Safari: Wenn es am Schönsten ist, muss man gehen.

Wir waren spät dran. Wie der Teufel donnerten wir die letzten Kilometer querfeldein zurück zum Flugplatz Kogatende, wo wir gerade noch rechtzeitig eintrafen. Erst jetzt realisierten wir, dass wir in der Hitze des Gefechts unseren Bohnensack verloren hatten. Dieser musste uns bei den Geparden heruntergefallen sein. In weiser Voraussicht hatte ich einen zweiten Bohnensack mit dabei, aber es mangelte an Füllmaterial. Wir verabschiedeten uns von Masha und drückten ihm ein ordentliches Trinkgeld in die Hand. Dann stiegen wir in das kleine Flugzeug, das uns in 20 Minuten von Kogatende nach Tarime brachte. Von dort ging es per Auto weiter bis Migori, wo wir die Grenze passierten. Die Räumlichkeiten des Zollbüros waren schon etwas mitgenommen, auf den Tischen lagen rechts und links hohe Papierstapel. Ob die wohl noch jemand abarbeitet, fragte ich mich. Die Touristen standen Schlange. Dennoch arbeitete nur ein Zollbeamter. Der zweite las gerade in der Zeitung und wollte offenbar nicht gestört werden. Afrika ist die Gegenwelt zu unserer funktionierenden Ordnung Zuhause. Es ist chaotisch, improvisiert und kunterbunt. Das Leben dort funktioniert auch – nur halt nach völlig anderen Regeln und Normen. Diese Beobachtung verwirrte uns auf unseren ersten Reisen auf dem Schwarzen Kontinent gewaltig, manchmal nervte sie tierisch, aber mittlerweile hatten wir uns daran gewöhnt. 

Mit dem Stempel im Pass ging es von Migori einen Luftsprung weiter nach Mara Musiara, wo wir von James und Clarise, unseren neuen Guides in Empfang genommen wurden. Die beiden sind Massai und trugen ein traditionelles Gewand in Rot bzw. Blau sowie ein prächtiger, farbenfroher Halsschmuck.

Die Massai Mara (übersetzt geflecktes Land) ist das wahrscheinlich bekannteste und meist besuchte Tierschutzgebiet Afrikas. Eine riesige Wildtierdichte und das ziemlich offene Terrain bedeuten, dass man gute Chancen hat, all jene Tierarten zu Gesicht zu bekommen, die man aus dem „Big Cat Diary“ oder anderen Fernsehdokumentationen kennt. Eigentlich hatten wir aber unseren Aufenthalt in der Massai Mara so geplant, um die Grosse Migration ebenfalls von der kenianischen Seite beobachten zu können. Aber was schert sich die Natur um unsere Planung!? Normalerweise bilden die Tiere zu dieser Jahreszeit riesige Herden im Süden des Parks, aber dieses Jahr war alles anders. Der Strom war grösstenteils bereits in der Serengeti, so dass unsere Chancen auf River Crossings von der kenianischen Seite bei null waren. Wir fuhren nur wenige Minuten von der Flugpiste zu einem schattigen Picknickplatz mit Aussicht auf einen Hippo Pool, wo wir zu Mittag assen. Gebratene Gemüsestreifen mit Wraps, Oliven, Dörrzwetschgen und frische Früchte zum Nachtisch standen auf dem Menüplan. Es war lecker, wenn auch eine ziemlich ölige Angelegenheit.

Nach dem Mittagessen fuhren wir gemächlich Richtung Camp, das auf direktem Weg rund 2,5 Stunden entfernt war. James fuhr allerdings so extrem langsam, dass man den Reifen während der Fahrt hätte wechseln können. Für die Giraffen, Topis und Elefanten in der Ferne konnte ich keine Begeisterung finden. Ich war einfach nur traurig, dass ich die Serengeti verlassen musste für eine Gegend, die mir auf den ersten Blick ruhig erschien. Doch unsere Bilanz nach zwei Nächten Massai Mara konnte sich sehen lassen und liest sich wie eine Best-of-Liste. Aber alles der Reihe nach...

James entdeckte Giraffen, die alle in dieselbe Richtung schauten und machte sofort Löwen bei einem Baum ausfindig. Das alles haute mich noch nicht aus den Socken. Doch als wir näherkamen und auch ich das Löwenpärchen in Flitterwochen sah, nahm ich alles zurück. Wie schon bei den Leoparden beobachtet, war auch Löwensex nichts für Romantiker - über fünf Tage lang alle 20 Minuten Action mit beeindruckender Geräuschkulisse. Dabei wurde sich ordentlich angefaucht und das Männchen biss dem Weibchen kräftig in den Nacken – für uns natürlich tolles Entertainment! Und schon nach wenigen Sekunden hatte der Spass ein Ende und das Liebespaar lag Seite an Seite entspannt im Gras (bis zur nächsten „Nummer“ jedenfalls).

In einiger Distanz entdeckten wir ein zweites Löwenmännchen mit einem ramponierten Auge. Er kam zwar etwas näher, hielt aber stets gebührend Abstand zum Liebespärchen. Der Löwe setzte sich vor unserem Auto ins Gras und liess sich bereitwillig fotografieren. Nach einer Weile richtete er sich wie in Zeitlupe auf, gähnte und schüttelte das von vielen Narben gezeichnete Fell und die prächtig kolorierte Mähne. Dann ging er zu einem Baumstamm, wetzte seine Krallen, setzte sich auf sein Hinterteil und träumte in den Tag hinein. Was für ein Bild ...!

Danach hatten wir noch zwei weitere Big-Five-Begegnungen. Einmal mit einem Spitzmaulnashorn, welchem wir nicht zu nahe auf die Pelle rücken wollten, denn das Muskelpaket mit dem Gewicht eines mittleren Kleinwagens kann offenbar ziemlich aggressives Verhalten an den Tag legen. Im letzten Licht des Tages sahen wir dann auch noch ein Leopard. Dieser war allerdings aufgrund der vielen Autos total gestresst, weshalb wir uns schnell zurückzogen.   

Nach Sonnenuntergang senkte sich der Vorhand der Nacht langsam über den Busch. Kein Zivilisationslicht trübte die Stimmung. Bei totaler Dunkelheit erreichten wir das Camp Nkorombo, welches direkt am Mara Fluss liegt und in unmittelbarer Nähe einer der bekannten Übergangsstellen während der grossen Migration ist. Es ist ähnlich angelegt wie das Serian Mara Camp, doch es ist trotz seiner mobilen Zeltstruktur permanent aufgebaut. Es zieht also nicht den Herden nach, da die Tierbeobachtungen das ganze Jahr über gut sind in der Massai Mara. Die Ausstattung war eine deutliche Stufe unterhalb des Serian Camps, die Zelte waren kleiner, doch alles Notwendige war vorhanden und machte einen ordentlichen und gepflegten Eindruck. Einzig das Wasser aus dem Eimer, welches zum Händewaschen bereitgestellt wurde, war unappetitlich. Es war eine braune Sauce, sodass wir jeweils unsere Hände nach dem Waschen noch mit Sterilium desinfizierten.

Nach einer wohltuenden Dusche genossen wir einen Drink am Feuer und wechselten anschliessend für das Abendessen ins Lounge Zelt. Da die Tage lang und die Nächte kurz waren, zogen wir uns gleich nach dem Essen ins eigene Reich zurück und sanken kurz darauf in einen tiefen Schlaf. 

Dienstag, 1. Oktober 2013: Massai Mara (Nkorombo) 

Marcus litt in der Nacht an einer Lebensmittelvergiftung. Das musste natürlich ausgerechnet im einfachsten Camp passieren, in dem wir kein fliessend Wasser hatten. Ich versorgte mein Patient mit Bananen, reichlich Trinkwasser und einer Cola. Auch Trockenreis liess ich auf’s Zimmer bringen und hoffte, dass er sich bald besser fühlen würde. Danach stieg ich zu Kriszta und Hanspeter ins Fahrzeug, aber gedanklich war ich noch immer bei Marcus. Wir tuckerten langsam vor uns hin und schon nach kurzer Zeit hatten wir unser erstes déjà-vu mit einem Leoparden. Die Dame lag unter Büschen und räkelte sich vor unseren Kameras, als hätte sie es vor einem Spiegel geübt. Es war ja klar, dass wir ausgerechnet auf jenem Game Drive den unangefochtenen Superstar im Busch entdecken mussten, auf dem Marcus nicht dabei sein konnte. Danach kam das wunderschöne Tier auf uns zu, trank einen Schluck Wasser aus einer Pfütze, bevor es in einem dicht bewachsenen Baum von der Bildfläche verschwand.

Wir fuhren weiter vorbei an diversen Topi-, Zebra- und Gnuherden, die viele Jungtiere dabei hatten. Besonders angetan hatte es uns aber eine Warzenschweinfamilie mit frisch „geschlüpften“ Babies. Die kleinen Schweine waren ganz aufgeregt und rannten wild in der Gegend herum. Entzückend! Unter der einzigen Schirmakazie weit und breit hielten wir für ein Buschfrühstück an. Unsere Guides breiteten eine Decke am Boden für uns aus und richteten die Speisen auf einem kleinen Tischlein her.

Wäre es nach mir gegangen, so hätten wir uns nach dieser Stärkung auf den Heimweg machen können. Doch via Buschtelefon hörte James von drei Geparden, die er uns nicht vorenthalten wollte. Weil ich wusste, wie sehr sich Marcus eine solche Begegnung wünschte, hoffte ich insgeheim, dass wir die Drei nicht finden würden. Unterwegs trafen wir auf eine Löwin, die von Schattenplatz zu Schattenplatz wanderte, zwischendurch einen Schluck Wasser trank und sogar eine Plazenta (von einem Topi) verschlang. Dann, im Schatten eines grossen Baumes, sahen wir die drei Geparde liegen. Es war eine Mutter mit ihrem Nachwuchs. Kurz nach unserer Ankunft fuhr das andere Fahrzeug weiter, so dass wir nun alleine vor Ort waren. Die Geparde ruhten gemütlich und wackelten gelegentlich mit ihrer Schwanzspitze. In der Nähe entdeckte James eine wenige Tage alte Thomson Gazelle auf ihren wackeligen Beinen. Im nächsten Moment fokussierte die Geparden Mutter das kleine Ding bereits. Schnell war klar, was die Geparde planten und wir waren mitten drin, sassen quasi in der ersten Reihe. Die Mutter führte das Feld an und liess dabei ihren Blick nicht mehr von der Beute ab. Die Halbwüchsigen folgten ihr auf Schritt und Tritt. Die letzten paar Meter galoppierten die Raubtiere entspannt auf die einsame Baby Gazelle zu. Nun überliess die Mutter das Feld ihren Schützlingen, die die Beute mehrmals zu Fall brachten, aber beim Abschluss haperte es noch. Die „Übungsstunde“ dauerte nach Mutter’s Geschmack zu lange, denn durch die Rufe der Gazelle könnten Löwen oder Hyänen angelockt werden. Sie griff ein, womit das Ende der Gazelle innert Sekunden besiegelt war.  Dann packte sie ihre Beute in der Kehle und trug sie zurück in den Schatten. Die Geparde verschlangen diese Vorspeise. Schon nach 10 Minuten war nichts mehr von der Gazelle zu sehen, einzig die blutigen Mäuler der Geparde deuteten noch auf den Riss hin. Während der Jagd war ich mit der Kamera dermassen beschäftigt, dass ich alles um mich herum vergass. Ich war traurig, dass Marcus diese doch sehr spezielle Jagdszene verpasste und wollte nur noch „nach Hause“ zu ihm. 

Erst nach 12 Uhr waren wir zurück im Camp. Ich war froh wieder bei Marcus sein zu können und schaute als erstes nach ihm. Er fühlte sich noch immer hundeelend. Für mich stand fest, dass ich mich am Nachmittag um ihn kümmern würde, zumal ich die Pirschfahrt alleine ohnehin nicht geniessen konnte. Dank dem Antibiotikum spürte Marcus schon bald eine leichte Besserung. Trotzdem blieb ich bei ihm und statt Hyänenkinder zu beobachten (Höhepunkt der Pirschfahrt für unsere Freunde) verbrachten wir den Nachmittag mit Fotos sortieren und schlafen. 

Zum Abendessen schaffte es auch Marcus wieder ins grosse Lounge Zelt, nur durfte er statt Fleisch und Sauce bloss Trockenreis essen. Obendrein bekamen wir noch die schlechte Nachricht, dass wir am nächsten Morgen keine Pirschfahrt mit James mehr unternehmen konnten. Dieser sollte bereits neue Gäste in Empfang nehmen, während wir vom neuen Guide des nächsten Camps um 9 Uhr abgeholt werden sollten. Das ging überhaupt nicht! Wir insistierten auf die Ausfahrt am frühen Morgen (die Aktivitäten waren schliesslich alle im Preis inbegriffen). Nach langer Diskussion ging es dann doch. Der Plan stand also fest: Ausfahrt war für 6 Uhr geplant und ich hoffte sehr, dass Marcus über Nacht wieder zu Kräften kam. 

 

Mittwoch, 2. Oktober 2013: Massai Mara (Nkorombo) – Massai Mara (Rekero Naboisho)

An diesem Morgen waren wir wieder komplett auf dem Fahrzeug, auch wenn Marcus noch immer etwas angeschlagen war.  Aber schliesslich gab es einiges nachzuholen...! Wir waren uns alle einig, dass eine zweite Gepardenjagd und eine Leopardenbeobachtung für den heutigen Tag nichts als angemessen wären. Mit diesen Zielen verliessen wir das Camp, auch wenn ich zugegebenermassen an der Umsetzung zweifelte. 

Das erste Hochgefühl an diesem Morgen ereilte uns, als wir einen Karakal (ebenfalls überwiegend nachtaktiv) sahen. Noch versteckte sich die Katze im Unterholz. Doch aus Erfahrung wussten wir, dass Durchhaltevermögen oft belohnt wird. Wir drängten uns durch dichtes Gestrüpp mit Dornen, positionierten uns ständig neu je nachdem in welche Richtung der Karakal gerade ging, bis er sich schliesslich hinsetzte und wir freien Schuss hatten. Zum allerersten Mal überhaupt konnten wir diese Raubkatze beobachten, die mit ihren Pinselohren fast so aussieht wie ein europäischer Luchs. Was für ein Glück wir auf dieser Safari doch hatten! Der Leopard auf unserer Wunschliste wurde mit dem Karakal ersetzt und konnte mit dieser speziellen Beobachtung als erfüllt abgehakt werden.  

Wir nahmen unsere Pirschfahrt wieder auf, fuhren vorbei an Zebras, Gnus und Topis bis wir schliesslich – dank anderen Touristen – ein Gepard entdeckten. Er pirschte sich durch hohes Gras an eine Impalaherde heran, die friedlich grasten. Weil in der Nähe eine Ranger Station war, konnten wir die Strasse nicht verlassen. Deshalb hatten wir den Feldstecher im Anschlag, das 400er auf dem Kameragehäuse und verfolgten jede noch so kleinste Bewegung des Raubtieres, immer bereit für einen möglichen Einsatz. Nach einer Weile kam eine Warzenschweinfamilie vorbei spaziert, welche die Gefahr im hohen Gras nicht erkannte. Der Gepard änderte schlagartig seine Taktik und nahm Kurs auf ein junges Schwein. Auch bei dieser Jagd konnte der Gepard seine Beute mühelos packen. Kaum war das Ende besiegelt, fielen die Touristen über „ihre Beute“ her. Angesichts der hohen Touristenzahl ging es hier wirklich zu und her wie auf der Zürcher Bahnhofstrasse vor Weihnachten. Und dies ganz auf Kosten des Gepards. Als dieser seinen Biss löste, war das Warzenschwein noch nicht tot. Das Schwein versuchte mit letzter Kraft wieder auf die Beine zu kommen. Der Gepard erschrak, wich zurück und packte nur Sekunden später seine Beute wieder. Diesmal biss er kräftig zu, bis das Tier schliesslich leblos auf dem Boden lag. Der Gepard frass schnell und überprüfte dabei immer wieder die Umgebung. Ich hatte erbarmen mit dem Tier, das sich wegen uns Menschen in einer Stresssituation befand. Trotzdem freute ich mich, dass mit dieser Jagd unser zweiter Wunsch in Erfüllung ging.

Wir verliessen unseren Standort und hielten wenig später auf einem Hügel für unser Buschfrühstück an. Als ich aus dem Wagen stieg, eröffnete sich mir ein atemberaubender Rundumblick auf die einzigartige Landschaft der Massai Mara. Das offene, hügelige Grasland mit vereinzelten Akazienbäumen, das so typisch für diese Region ist, erstreckte sich bis zum Horizont – bis nach Tansania. Es ist unglaublich, wie schön dieses Land ist, und ich stellte mir vor, wie überwältigend der Anblick erst sein muss, wenn dort unten hunderttausende Gnus und Zebras auf ihrer grossen Wanderung vorbeiziehen. Denn schon jetzt hat mich die aussergewöhnliche Schönheit dieses Landes in seinen Bann gezogen und ich wusste: ich werde wiederkommen!

Von unserem Aussichtspunkt aus konnte James ohne Fernglas einen Löwen in ca. zwei Kilometer Distanz erkennen. Das war unglaublich, wenn nicht beinahe unmöglich! Aber James hatte natürlich Recht, wie wir später herausfanden. Ein prächtiges Löwenmännchen zog von Busch zu Busch und suchte sein Rudel. Nach dieser Begegnung machten wir uns auf den Rückweg. Wir konnten unser Glück von diesem Morgen kaum fassen! Es war, als hätten wir zum Abschied eine Sondervorstellung bekommen, die Marcus zumindest teilweise über die verpassten Beobachtungen am Vortag hinweg trösteten. Beim Camp wartete bereits Dickson, unser neuer Guide, in leuchtend roter Massai-Kleidung im Geländewagen. Wir verabschiedeten uns von der Crew des Nkorombo Camps und kletterten ins neue Fahrzeug. Auf dem Weg zu unserer neuen Unterkunft kreuzten wir ein Hippo, das friedlich in der Mittagssonne graste. Neben dem Üblichen gehörte auch ein weiterer Gepard zur Ausbeute. Diesem lief ebenfalls ein Warzenschwein über den Weg, was ihn aber wenig kümmerte. Schwein gehabt ...!

Mit dieser Beobachtung verliessen wir die Massai Mara und passierten ursprüngliche Dörfer, wo sich einfache Rundhütten aneinander reihten. Die Wände waren mit Kuhdung verputzt und die Dächer mit Stroh bedeckt. Lachende Kinder spielten miteinander und aus den Hütten beobachteten uns die Bewohner interessiert, während wir unseren Weg durch die mit Leben gefüllten Strassen bahnten. Ich war vollkommen überrascht von der Nähe zur Bevölkerung.

Auf den letzten Kilometer zum Camp waren die „Afrikanischen Massagen“ wieder besonders intensiv. Wir mussten uns festklammern, als sich unser Jeep über grosse Steine den Hang hinauf kämpfte. Wir befanden uns inzwischen im Stammesland der Massai. In roten Tüchern gehüllt trieben junge stolze Männer ihr Vieh durch die trockene Weite. Die Mara Naboisho Conservancy umfasst ein gut 20’000 Hektar grosses Areal, das sich im Osten an das Massai Mara Nationalreservat anschliesst. Im Gegensatz zu dem öffentlichen Schutzgebiet entstand die Naboisho Conservancy durch private Initiative. Dabei schlossen einige wenige, meist exklusive Camps und Lodges eine Vereinbarung mit den Landeigentümern, kleinen Bauern und Massai-Hirten. Lediglich die Pirschfahrzeuge der am Projekt beteiligten Camps haben Zugang zu dem Schutzgebiet. Die Landeigentümer werden mit einem fairen Betrag an den Einnahmen aus dem Tourismus beteiligt. 

Bei Ankunft im Camp bekamen wir unsere Unterkünfte gezeigt. Und wenn einer glaubt, es handelte sich „nur“ um ein Zelt, dem sei gesagt, dass man hier alles geboten kriegt, was man zum Leben braucht: ein herrliches Badezimmer mit fliessend Wasser und dazu ein aus Natursteinen gemauerten Aussenbereich mit Dusche unter freiem Himmel, elektrisches Licht, ein stilvoll eingerichtetes und geräumiges Hauptzimmer mit wunderbar bequemen Betten sowie einem Vorraum mit Couch und komfortablen Stühlen. Die Zelte waren geschmackvoll eingerichtet und kombinierten den traditionellen Safaristil mit Designer Einflüssen. Kurzum – es grenzte an Luxus, wenn man nicht die goldenen Wasserhähne à la Las Vegas als Massstab nahm. 

Die Nachmittagspirsch war unspektakulär, so dass wir erstmals auf dieser Safari das Camp mit beinahe voller Speicherkarte erreichten. Nach einer Erfrischung trafen wir uns zum Abendessen im Lounge Zelt wieder. Was uns hier aufgetischt wurde, liess unser aller Augen erstrahlen. Für Marcus gab es eine Hühnchensuppe, die ihm nach dem faden Reis der letzten Tage sehr schmeckte. Auch unser Essen war ein „Gedicht“ und um einiges leichter verdaulich als jenes in den vorigen Camps. Nun lag uns nicht mehr das Essen auf dem Magen, sondern das ruhige und im Vergleich zu den Vortagen eher tierarme Reservat. Relativ schnell nach dem Abendessen wurden wir zu unserem Zelt geleitet und fünf Minuten später lag ich im Bett.

 Donnerstag, 3. Oktober 2013: Massai Mara (Rekero Naboisho)

Als ich die Augen an diesem Morgen aufschlug, hörte ich ein langersehntes und bisher nicht gehörtes Geräusch. Löwen brüllten. Ach, wie ich diesen Sound liebe. Und es machte Hoffnung für die bevorstehende Morgensafari. Pünktlich um 6 Uhr wurden wir vom Nachtwächter abgeholt. Wie alle Wachmänner gehörte auch er zum Stamm der Massai, die ihre Kühe hüten und als mutige Krieger geschätzt werden. Neben einer Machete, die er unter seiner Toga versteckte, trug unser kahl geschorener afrikanischer Cowboy auch Pfeil und Bogen, mit dem er im Notfall Wildtiere verscheucht. Das stellten wir uns zwar ziemlich schwierig vor, aber auf die Frage, ob er denn Pfeil und Bogen hier schon einmal benutzen musste, antwortete er mit einem „yes“. Wegen seinen mangelnden Englischkenntnissen waren wir nicht sicher, ob er unsere Frage verstanden hatte oder ob er einfach mal sicherheitshalber mit ja antwortete.

Kriszta und Hanspeter warteten bereits beim Jeep auf uns. Nachdem wir unsere Kameras gerüstet hatten, verliessen wir das Camp. Nur etwa 10 Minuten später entdecken wir parallel des Weges ein Löwenrudel mit einem ausgewachsenen Weibchen und etlichen Jungtieren. Die Anführerin lief gemessen und ruhig. Im Hintergrund beobachteten Thomson Gazellen das Geschehen, wohl wissend, dass ihnen keine akute Gefahr drohte, doch den schützenden Sicherheitsabstand wachsam einhaltend. Die Bäuche der Löwen waren sichtbar leer. Ganz offenbar war die nächtliche Jagd erfolglos und nun strebten sie einem geeigneten Platz zum Ausruhen zu. Trotzdem brachte die Jungmannschaft noch Energie auf miteinander herumzutollen. Wie immer war es ganz wundervoll spielende Löwen zu beobachten, die kraftvollen, eleganten Bewegungen und das spielerisch-liebevolle Kräftemessen zu verfolgen. Wir folgten den Raubtieren lange, bis sie schliesslich ihren angestrebten Ruheplatz erreichten, wo sie sich müde ins Gras fallen liessen.

Den Rest des Tages suchten wir die Umgebung nach den heiss begehrten Objekten, wie Löwen, Leoparden und Geparden ab. Doch die hatten offenbar keine Lust, uns über den Weg zu laufen. Oder aber wir konnten sie nicht sehen, weil Dickson für unseren Geschmack viel zu schnell durch die Gegend brauste. Wir hakten gedanklich schon mal unsere noch verbliebenen Sichtungswünsche ab. Unsere Begeisterung für Giraffen, Vögel und Schakale hielt sich nach den Erlebnissen in der Serengeti und Massai Mara in Grenzen, ja sogar bei einer kleinen Elefantenherde kam keine Euphorie auf. Der arme Kerl (Dickson) konnte einem schon fast leidtun. Und wir wünschten uns zurück in das "weite, gefleckte Land" und dessen unerschöpflicher Tierreichtum. 

Beim Sundowner unterhielten wir uns mit Dickson. Auch er bestätigte, dass es bezüglich Tierbeobachtungen ausserordentlich ruhig war. Es war wirklich schade... Das Camp war luxuriös, das Essen fantastisch, die Crew freundlich und die Landschaft innerhalb des Reservats war abwechslungsreich und schön - alles war wunderbar, einzig die Tiere fehlten. Deshalb schlug uns Dickson einen Tagesausflug in die Massai Mara vor. Marcus war begeistert von der Idee, Kriszta und Hanspeter hingegen war die 1.5 stündige Fahrt zurück ins Reservat zu anstrengend. Deshalb teilten wir uns am kommenden Tag auf. Während Marcus und ich in die Massai Mara zurückfahren würden, verbrachten unsere Freunde einen gemütlichen Tag im Camp und unternahmen eine kurze Pirschfahrt mit anderen Gästen. 

Nachdem die Pläne für den nächsten Tag geschmiedet waren, machten wir uns auf den Heimweg. Nach stundenlanger Suche entdeckten wir dann doch noch ein Löwenrudel mit drei stattlichen Löwenmännchen. Nun war es aber bereits zu dunkel zum Fotografieren. Wir hatten aber auch immer was zu nörgeln... :-) An diesem Tag war ich dermassen erledigt, dass ich um 20.00 Uhr ohne Abendessen direkt ins Bett fiel. 

 

 Freitag, 4. Oktober 2013: Massai Mara (Rekero Naboisho)

Gegen Morgengrauen hörte ich die Löwen brüllen, das hiess, sie konnten nicht weit vom Camp sein. Rasch machten wir uns fertig und gönnten uns nur zwei Minuten für den Tee mit Blick in die Dunkelheit. Dann begaben wir uns voller Tatendrang auf Pirschfahrt, an diesem Morgen waren wir ja nur zu zweit. Da der frühe Morgen die beste Tageszeit ist, um aktive Löwen zu finden, versuchten wir unser Glück als erstes im Naboisho Reservat, und falls erfolglos, würden wir die Fahrt in die Massai Mara fortsetzen. Wir tuckerten also den Hügel hinunter zum ausgetrockneten Bachbett, wo wir eine halbe Stunde später tatsächlich auf das Löwenrudel trafen. Mit von der Partie waren ein Löwenmännchen, ein ausgewachsenes Weibchen sowie einige Jungtiere. Der Pascha liess sich von der aufgehenden Sonne aufwärmen, während sich die Jungmannschaft die Zeit mit spielerischer Rauferei vertrieb. Allerdings war die Stimmung unter den Löwen sehr gereizt. Völlig unerwartet stürzte sich der Pascha auf das Weibchen, lautes Gebrüll ertönte. Leider war ein Busch zwischen den Löwen und unserem Fahrzeug, so dass wir diese Szene nicht mitverfolgen konnten. Dann rannten die Löwen durch das Flussbett auf die andere Seite. Wir waren nicht ganz so flexibel und mussten einen grossen Umweg fahren. Endlich auf der anderen Seite angelangt, schritt der Pascha soeben wieder vom Hügel hinunter. Ein Junglöwe forderte ihn noch immer hinaus. Irgendwann überspannte er den Bogen und ging zu weit. Der Anführer, der diese "Unverschämtheit" nicht mehr tolerieren wollte, mutierte blitzschnell und verpasste dem Jüngling eine Ohrfeige. Diese wurde zwar nicht kommentarlos entgegengenommen, trotzdem waren die Kräfteverhältnisse klar. Wir vermuteten, dass Hunger die Ursache für diesen Familienstreit war, denn der Pascha hatte einen prallen Bauch, während der Rest der Familie ziemlich mager daher kam. Nach dieser Auseinandersetzung kam das Rudel unter Büschen im Flussbett zur Ruhe. Für uns war es Zeit aufzubrechen. Auf dem Weg begegneten wir noch einer Hyäne, die an den Überresten eines ausgeweideten Gnukadavers zerrte.

Dann verliessen wir das Reservat und nahmen Kurs auf die Massai Mara. Marcus und ich genossen diese Fahrt entgegen unseren Erwartungen. Auch wenn es für rund 1.5 Stunden keine Tiere zu sehen gab, so war es doch schön, für einmal nur zu zweit unterwegs zu sein. Dickson informierte uns bereits unterwegs, dass ein Leopard in der Nähe des Parkeingangs gesichtet wurde. Als wir am besagten Ort ankamen, war schon ein ganzes Rudel versammelt. Nein, nicht Leoparden, Autos! Es ist ja grundsätzlich gut, dass sich die Fahrer untereinander austauschen. So werden weniger unnötige Kilometer gefahren und die persönliche Quote erhöht sich auch. Aber das war nun wirklich zu viel des Guten! Ich war froh, als die Leopardin auf eine offene Ebene marschierte, wo sich der „Verkehr“ besser verteilte. Sofort kam Hektik unter den Fahrern auf, denn jeder wollte für seine Gäste die Pole Position ergattern. Wir blieben etwas abseits stehen und beobachteten das Geschehen. Die Leopardin liess sich von den Autos nicht ins Box Horn jagen und nutzte diese sogar, um sich an eine Impalaherde heranzupirschen. Als die Jagd jedoch wegen Missverhalten einiger Touristen gefährdet war, reagierten die Ranger, die soeben beim Tatort ankamen, äusserst aggressiv. Und dies zu Recht! Sie befahlen den Fahrern auf Abstand zu gehen. Zögerlich machten diese Platz. Die Jagd war dennoch geplatzt, denn die Impalas hatten den Leoparden längst gesehen. Wir setzten unsere Pirschfahrt fort und begegneten schon bald einer Büffelherde. Bei genauerem Hinsehen entdeckten wir in unmittelbarer Nähe auch noch zwei junge Löwenmännchen. Wir blieben stehen und beobachteten die Tiere. Dann plötzlich bewegten sich zwei Büffel zielstrebig auf die beiden Löwen zu, begannen gar zu traben. Ganz offensichtlich ging es hier um eine Machtdemonstration. Die Löwen zögerten, wichen etwas aus und kauerten sich ins Gras. Nur noch wenige Meter lagen zwischen den Kontrahenten. Spannung füllte die frische Morgenluft. Die Gegner taxierten sich. Doch die Büffel wollten nichts anbrennen lassen. Sie brachten ihre Masse in Bewegung und stampften schwerfällig auf ihre Gegner zu. Die Situation deeskalierte, die Löwen suchten das Weite. Viel zu kostbar waren Energiereserven und Unversehrtheit, als dass ein Kampf ohne Not Sinn gemacht hätte. Die beiden Löwen wanderten, in der grössten Mittagshitze, eine beachtliche Strecke durch die Savanne. Topi Gazellen wichen den beiden trägen Genossen aus und beobachteten sie aus sicherer Distanz. Die Löwen drehten sich immer wieder um und schauten ihrem Essen wehmütig hinterher. Doch dieses war definitiv ausser Reichweite. Die Hyäne, die sich in ihren Weg stellte, duldeten die Löwen allerdings nicht. Einer hatte sogar noch eine kleine Reserve übrig, um den Rivalen zu vertreiben. Die Kräfteverhältnisse waren klar, die Hyäne machte sich ohne zu zögern aus dem Staub. Schliesslich erreichten die Löwen ein schattiges Plätzchen. Sie liessen sich müde auf den Boden fallen und werden nach dieser überraschenden Störung den Rest des Tages vermutlich dösend verbringen. 

Für uns schien es ein Löwentag zu sein. Optimistisch fuhren wir weiter. Voller Ungeduld suchte ich die einzigartige Szenerie der Massai Mara nach Bewegung ab, blickte von rechts nach links und versuchte in der Ferne etwas zu entdecken. Ich konnte nicht verstehen, warum Dickson diesen verlassenen Weg einschlug, wenn es doch hier kaum Tiere zu sehen gab. Doch er fuhr immer weiter in dieselbe Richtung, als würde es ihn nicht kümmern. Nachdem meine Hoffnung schon geschwunden war und ich bereits einnickte, entdeckte Marcus eine Löwin und kurz darauf eine weitere Bewegung im Gestrüpp. Löwenbabies! Ich war sofort hellwach. Noch versteckten sich die Jungen im Gebüsch, so dass wir lediglich erkennen konnten, dass es zwei an der Zahl waren. Trotzdem sprang mein Herz vor Freude. Nun zahlte es sich aus, dass wir in entlegenem Gebiet unterwegs waren, denn wir waren mutterseelenallein. Wir flüsterten, um die Löwenkinder nicht noch mehr zu verängstigen. Da sie sich noch immer erfolgreich versteckten, nutzten wir die Zeit für eine Zwischenverpflegung. Reis mit Ananas und Peperonistücke, Poulet Schenkel und Gemüse standen auf dem Menüplan. Lecker! Nach zwei Stunden tappte endlich ein Löwenkind aus dem Versteck hervor und torkelte zu Mamas Zitzen. Dann zeigte sich auch der zweite Fellknäuel. Die Kleinen waren knapp einen Monat alt und echt süss. Jetzt verhielten sich die Tiere vollkommen unbefangen: Sie spielten, tranken und schmusten, während Mama ihr gesamtes Umfeld im Blick behielt. Wie es Kinder so an sich haben, war es natürlich besonders spannend, den grossen Bruder zu necken. Sie kletterten vergnügt auf ihm herum und strapazierten damit seine Nerven. Als er ihnen die Grenzen mit einem leisen Knurren aufzeigte, kassierte er eine Ohrfeige der Mutter. Ziemlich unfair, aber diese Situation nützten die Löwenbabies selbstverständlich gnadenlos ein zweites bzw. drittes Mal aus :-) Die kleinen Energiebündel wurden immer mutiger und gingen auf Entdeckungstour in der unmittelbaren Umgebung. Dabei rutschte der eine auf seinem Hinterteil einen Hang hinunter. Es sah wirklich köstlich aus! So viel Spiel und Spass machte natürlich auch hungrig, also tapsten die Kleinen irgendwann zurück und nuckelten an Mamas Zitzen. Es war ein unglaublich schöner Anblick. Wir hätten noch ewig bleiben können, doch Dickson mahnte zur Rückfahrt. Schweren Herzens willigten wir schliesslich ein. Erst jetzt, wo die Löwenbabies ausser Sichtweite waren, hatten wir auch wieder einen Blick für die anderen Tiere. Die Mara bietet tatsächlich eine unglaubliche Tierdichte. Löwen fanden wir an diesem Tag in grosser Menge und allen Altersklassen. Wir begegneten weiteren sechs Löwen und zum krönenden Abschluss gab sich noch ein Trio die Ehre mit mächtigen Mähnen wie frisch geföhnt. Zufrieden machten wir uns auf den Heimweg.

An den Grenzen des Nationalparks endete die Idealwelt der Wildnis und wurde mit Wucht durch die typischen Bilder afrikanischer Armut ersetzt. Es gibt nach wie vor in Afrika so gut wie keine funktionierende Sozialsysteme, keine zuverlässige Infrastruktur. Viele Menschen sind arbeitslos, und dennoch trifft man fast immer auf Menschen, die aufrecht und voller Würde leben, und die das Lachen nicht verlernt haben.

Um 18.00 Uhr erreichten wir das Camp. Die Zeit reichte noch für eine warme Dusche, die von den guten Geistern des Camps vorbereitet wurde. Nach dem Sonnenuntergang setzten wir uns um das wunderbar knisternde Lagerfeuer. Wir hörten die Löwen brüllen und entdeckten im Baum sogar ein Bush Baby. Der kleine Kerl hatte riesige Augen, die rubinrot reflektierten. Mit einem grossen Satz sprang er von Baum zu Baum, dann kletterte er flink hinunter, hüpfte mit riesigen Sprüngen (wie Lemuren) über den Boden, wieder hinauf in den nächsten Baum bis er im dichten Geäst aus unserem Blickfeld verschwand. Damit ging ein weiterer interessanter Tag zu Ende. 

 

 Samstag, 5. Oktober 2013: Massai Mara (Rekero Naboisho) – Nairobi - Zürich

Während wir uns noch müde die Augen rieben, wurde es draussen langsam hell. Unsere letzte Pirschfahrt begann wie immer mit dem Morgengrauen. Im Licht der aufgehenden Sonne suchten wir die Umgebung nach Löwen ab, die noch bis vor kurzem zu hören waren. Doch die hatten offenbar keine Lust, uns über den Weg zu laufen. Überhaupt schienen die Tiere an diesem Morgen wieder wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Eine gefühlte Ewigkeit fuhren wir erfolglos im Busch umher, Hügel rauf, Hügel runter ... nichts, einfach nichts ... Plötzlich hörte ich einen Warnruf. Mir war sofort klar, dass die Löwen dafür verantwortlich waren. Obwohl sich Dickson nichts anmerken liess, war es doch sicherlich peinlich für ihn, dass ich gerade seinen Job machte. Wir fuhren also in die Richtung, aus der ich die Geräusche hörte. Und tatsächlich fanden wir wenig später das Löwenrudel. Die Freude war allerdings nur von kurzer Dauer, denn die Raubtiere zogen sich auf felsiges Terrain zurück, wohin wir mit dem Fahrzeug nicht folgen konnten. Die Suche begann von Neuem, obwohl ich zugegebenermassen die Hoffnung verloren habe. Doch dann haben wir doch noch Glück. Wir entdeckten den zweiten Teil des Löwenrudels. Zwei ausgewachsene Weibchen und etliche Jungtiere lagen müde im Gras. Sie waren erschöpft und hungrig. Nach kurzen Verschnaufpausen streiften die Löwen weiter durch den Busch auf der Suche nach Beute. Unser Fahrer heftete sich an deren Fersen. Mit steigenden Temperaturen suchten sich die Löwen jedoch einen schattigen Platz für die Rast. Damit war definitiv „Game over“ – sowohl für die Löwen als auch für uns. 

Zum Abschied bescherte uns noch eine Elefantenherde mit einem Baby die Ehre. Das knapp 30 Tage alte Elefäntlein war noch pink an den Ohren und wirklich entzückend. Allerdings wurde der Neuzuwachs von den älteren Elefanten behutsam beschützt und abgeschirmt, so dass wir kaum Gelegenheit für ein Foto hatten. Nun war es Zeit Abschied zu nehmen. Dickson brachte uns an die Grenze des Reservats, wo wir in einen klimatisierten Minibus umstiegen. Unser nächstes Reiseziel war Nairobi.

Nach fünf Tagen Natur pur und Kriechgang im Auto war es ungewohnt, wieder auf einer "normalen" Strasse in "normalem" Verkehr zu fahren. Die Massai Mara hing mir noch nach, als wir auf dem Weg Richtung Hauptstadt waren. In Nairobi trafen wir auf ein anderes Afrika. Es ist die wirtschaftliche und kulturelle Metropole Ostafrikas. Die als „Nairobbery“ verschrieene Hauptstadt Kenias kommt jedoch ziemlich gediegen daher. Während unserem ganzen Aufenthalt hatten wir nicht solch edle Wohnviertel gesehen. Die Menschen waren modisch gekleidet und liefen eifrig über die Strassen. Einige gingen aber auch am Rand oder mitten auf der Fahrbahn, sie bauten ihren Verkaufsstand neben dem Asphalt auf, sie liefen zwischen den im Stau stehenden Autos und versuchten Obst, Zeitungen oder kitschige Spielzeuge an den Mann bzw. die Frau zu bringen... So viele Leute wie hier in einer Stunde hatten wir in den ganzen zwei Wochen zusammen nicht gesehen. 

Um 17.00 Uhr erreichten wir den Flughafen. Dann wurde zuerst das gesamte Gepäck durchleuchtet, wir gaben unsere Reisetaschen bei Swiss ab und erhielten unsere Bordkarten. Nach der Ausreise, mit Foto und Fingerabdrücken, begaben wir uns in den Abflugbereich, wo es dann noch einmal warten hiess. Der Flughafen hatte sich in den sechs Jahren seit meinem letzten Aufenthalt kaum verändert. Es war ein riesen Chaos, Sitzplätze waren Mangelware, so dass sich viele Leute auf den Boden setzten, bei den wenigen Toiletten standen die Leute bis weit in den Gang hinaus an und Verpflegungsmöglichkeiten gab es auch keine. Sprich, es war eine Katastrophe. Nach Mitternacht wurden wir endlich zum Boarding aufgerufen. Ich schlief schon fast im Stehen ein, so müde war ich. Kurz nachdem wir unsere Plätze im Flugzeug eingenommen hatten, schlief ich ein und erwachte erst wieder kurz vor der Landung in Zürich. Nach einem herzlichen Abschied von unseren Freunden begaben wir uns auf den Heimtransfer. Müde aber glücklich über die letzten Tage kamen wir zu Hause an.

Leider hatten wir in diesen Ferien mit einigen gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Trotzdem lag eine unheimlich intensive Reise mit vielen interessanten Begegnungen und einmalig schönen Tiererlebnissen hinter uns. Wir hatten unglaublich viel Pirschglück und mit der Beobachtung der «Great Migration» ging ein Traum von mir in Erfüllung. Ob es «die perfekte Safari» war, ist schwierig zu beurteilen. Vielleicht ist jede Safari perfekt, die Faszination für wilde Tiere auslöst und den Wunsch weckt, bald wieder zurückzukehren in die Savanne, in der jeder Tag so viele Überraschungen bereithält, dass sich auch ein «wake up call» um 05.30 Uhr morgens ganz gewiss lohnt.      

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Auf Kussdistanz mit einem wilden Gepard

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