Abenteuer zwischen roten Sanddünen

Auch diesen Sommer sollte es wieder auf Entdeckungsreisen gehen. Soll es eine Reise zu den Bären nach Kanada oder nochmals eine Safari in Afrika sein? Wir waren uns lange unschlüssig. Da im August mein runder Geburtstag bevor stand, überliess Marcus mir die Wahl unserer nächsten Feriendestination. Die Entscheidung war sofort klar – Kanada muss warten, Afrika wir kommen!

Die Einen sagten, "schon wieder Afrika? Da wart ihr doch schon..." und schauten uns eher verständnislos an. Die Anderen bekamen beim Wort „Afrika“ leuchtende Augen und wären am liebsten gleich mit gefahren. Wen einmal der Afrikavirus gepackt hat, weiss, dass man davon nicht mehr los kommt. 

Nach zwei geführten Safaris in Botswana verspürte ich vermehrt den Wunsch, den Busch auf eigene Faust zu erkunden. Dazu hätte sich der Krügerpark bestens geeignet, aber der Massentourismus liess mich zurück schrecken. Wir haben die Abgeschiedenheit, die Ruhe und die Exklusivität in Botswana kennen und lieben gelernt und wollten nicht mehr darauf verzichten. Es musste also ein anderes Ziel her, ein Geheimtipp, wie es unsere Reisespezialistin nannte: der Kgalagadi Transfrontier Park. 

Das Reisebüro schlug uns ein Programm für die einzelnen Tagesetappen vor. Bezüglich Unterkunft bevorzugten wir eine Mischung aus Zelt (Jeep mit Dachzelt) und einfachen, einsam gelegenen Bungalows. Trotz der frühzeitigen Buchung mussten wir einige Male auf Alternativen ausweichen. Aber schliesslich ging's ja nicht um die Unterkünfte. Unsere Reisevorbereitungen nahmen diesmal etwas mehr Zeit in Anspruch, da es für uns die erste Reise mit Jeep und Zelt war und einiges an Organisatorischem abverlangte. Nun konnte es endlich losgehen, unser neues Kalahari Abenteuer.

 

31. August – 1. September 2007: Zürich – Windhoek

Der Flug von Zürich via Johannesburg nach Windhoek verlief einwandfrei. Am Flughafen wurden wir von einem Vertreter von Britz Car Hire abgeholt und zum Mietwagendepot gefahren. Wir waren überrascht über die vielen deutschen Strassennamen. Auch bei der Autovermietung wurden wir auf Deutsch empfangen. Nach Erledigung der Formalitäten erklärte uns der Mechaniker alles Wissenswerte übers Auto. Wir luden unser Gepäck ins Fahrzeug und bekamen von Deutschen Touristen das ihnen übrig gebliebene Brennholz geschenkt. Die Zeit verging schnell und wir machten uns auf Richtung Campingplatz Arebosch in Windhoek. An der Rezeption fragte man uns, ob wir powerpoint bräuchten. Marcus und ich verstanden die Welt nicht mehr. Wozu in aller Welt sollten wir auf einem Campingplatz (Windows) Powerpoint brauchen und warum will die Dame uns das anbieten? Wir hatten viele Fragezeichen und schauten ziemlich perplex aus der Wäsche. Die Dame an der Rezeption wurde ungeduldig und fragte immer wieder nach, "do you need powerpoint?" Erst als sie das Wort "plug" erwähnte, begriffen wir, dass sie damit den Stromanschluss meinte. Schmunzelnd lehnten wir ab. Wir suchten uns einen freien Stellplatz (leider hatte es nur noch welche in der Nähe der Strasse) und verbrachten unsere erste Nacht im Dachzelt. 

 

1. September 2007: Windhoek – Keetmanshoop

Gegen 8.30 Uhr standen wir am nächsten Morgen auf. Wir frühstückten gemütlich bevor wir für den Grosseinkauf zum Supermarkt aufbrechen wollten. Da bemerkten wir, dass der Auszug mit dem Kühlschrank klemmte. Nur mit Müh und Not konnten wir ihn wieder verstauen und den Kofferraum schliessen. Darüber wollten wir uns während den kommenden zwei Wochen nicht ständig ärgern müssen und uns womöglich noch die Finger einklemmen. Deshalb beschlossen wir, zurück in die Werkstatt zu fahren. Die Mechaniker belächelten uns, als wir ihnen von unserem „Problem“ berichteten. Wahrscheinlich dachten sie, dass wir uns zu dämlich anstellen würden. Tatsächlich funktionierte aber das Rolllager nicht mehr richtig und es dauerte zwei Stunden, bis sie es ersetzen konnten. Jetzt waren wir zeitlich massiv im Hintertreffen. Auch der Einkauf in einem fremden Land brauchte seine Zeit. Das Essen in Kartonschachteln verpackt, damit es auf den Schotterpisten nicht wild im Auto herum fliegt, fuhren wir am Nachmittag endlich in Windhoek los. Vor uns lagen 500 km bis Keetmanshoop. Es war schon stockdunkel, als wir auf dem Campingplatz neben dem Köcherbaumwald eintrafen. Die anderen Gäste verschwanden bereits in ihren Zelten und wir hatten noch nichts gegessen. Schnell erhitzten wir die Fertigrösti in der Pfanne und legten uns um 23.00 Uhr müde ins Bett. Es war eine stürmische Nacht und der Wind schlug die unbefestigten Zeltabdeckungen an die Aussenwand. Wir konnten kaum ein Auge zu tun, bis Marcus schliesslich aufstand und die Zeltplache befestigte.

 

2. September 2007: Keetmanshoop – Kgalagadi Nationalpark (Twee Rivieren)

Die heutige Etappe führte von Keetmanshoop auf Schotterstrasse nach Aroab und weiter zum Grenzposten Rietfontein. Bis dahin waren wir zeitlich noch im grünen Bereich. Auf der südafrikanischen Seite trafen wir jedoch eine katastrophale Wellblechpiste an, die uns nur noch im Schneckentempo vorankommen liess. Und dahin war unser Zeitpolster. Es waren noch rund 200 km bis Twee Rivieren und bei diesem Tempo würden wir es niemals rechtzeitig bis zum Park schaffen. Also mussten wir eine andere Taktik anwenden. Ich beschleunigte auf 60 km/h, damit wir sozusagen über die Wellen fliegen konnten. Zwischendurch quietschten die Stossdämpfer massiv, aber unsere Rechnung ging auf. Kurz vor 18.30 Uhr standen wir beim Parkeingang und erledigten die Einreiseformalitäten. Auf dem Campingplatz suchten wir uns ein nettes Plätzchen. Twee Rivieren im Süden des Nationalparks ist das grösste Camp, Sitz der Verwaltung und (damals) der einzige Eingang in das Tierschutzgebiet von südafrikanischer Seite. An diesem Abend gingen wir frühzeitig ins Bett. Schliesslich soll es am nächsten Tag früh auf Pirsch gehen. 

3. September 2007: Kgalagadi Nationalpark (Twee Rivieren – Kalahari Tented Camp)

Schon früh klingelte der Wecker an diesem Morgen. Voller Tatendrang sprangen wir aus dem Zelt und fuhren entlang des ausgetrockneten Flussbetts des Nossob. Die Landschaft war geprägt von karger Vegetation, wenigen Bäumen und roten Dünen. Es war ein wunderschöner Anblick! Die erste Tierbeobachtung auf unserer Selbstfahrertour waren die grazilen Springböcke, die neben der Schotterpiste nach Blüten suchten. Es war toll, wie nahe wir uns den Antilopen nähern konnten und es gelangen uns ein paar wirklich eindrückliche Fotoaufnahmen. 

Auf dem weiteren Weg sahen wir einige Kadaver, bei denen Schakale um die Überresten kämpften. Der Gamedrive war im Grunde genommen nicht besonders ereignisreich, aber weil es unsere allererste Pirschfahrt als Selbstfahrer war, erfreuten wir uns an allem. Besonders begeistert waren wir von der jungen Elanantilope, die wir auf unseren Safaris zuvor noch nicht gesehen hatten. Gnus, Oryx und Springböcke liessen sich während der heissen Tageszeit im Schatten der Bäume nieder. 

In Mata Mata mussten wir unser Auto erneut auftanken. Der Benzinverbrauch war weit höher als geplant und ich realisierte, dass das vorhandene Bargeld nicht ausreichen wird (Benzin kann in Afrika nur bar bezahlt werden). Das bereitete mir an diesem Abend enorme Bauchschmerzen. Wir erkundigten uns beim Tankwart nach einem Bancomaten. Anscheinend sollte es in Twee Rivieren einen geben. Aber ob das wirklich stimmte und ob er auch funktionierte? Wir waren skeptisch. Geldprobleme im Ausland zu haben gehört für mich zum Unangenehmsten. Es liess mir keine Ruhe. Am liebsten wäre ich gleich los gefahren, aber dafür war es zu spät. Bei Dämmerung um 18.30 Uhr schlossen die Gates. Danach durfte man sich nicht mehr ausserhalb der Camps aufhalten. Wir fuhren die kurze Strecke zurück zum Kalahari Tented Camp, wo wir für die zweite Nacht im Park gebucht waren. Hoch über dem Trockenbett des Auob-Rivers liegt auf einer Sanddüne mit freiem Blick auf ein Wasserloch dieses Camp mit seinen rustikalen, geschmackvoll gestalteten Wüstenzelten in den Farben des Nationalparks. Es ist nicht eingezäunt und hat zehn sehr gut ausgestattete Chalets. 

Zum Abendessen gab's Tomatensalat, denn sie mussten dringend gegessen werden. Marcus versuchte verzweifelt, ein Feuer zum Brennen zu bringen, damit er sein Fleisch braten konnte. Aber ohne Holzkohle war das ein schwieriges Unterfangen. Eine Weile sassen wir noch auf der Veranda und bestaunten den Himmel mit seinen hell funkelnden Sternen. Einfach atemberaubend, wie man es nur in Afrika erlebt!

4. September 2007: Kgalagadi Nationalpark (Kalahari Tented Camp – Mata Mata)

Am nächsten Morgen machten wir uns ohne Frühstück auf den 160 km langen Weg zurück nach Twee Rivieren, um dann hoffentlich an einem Automaten Bargeld beziehen zu können. Wir verbanden die Fahrt mit einem morgendlichen Gamedrive. Unweit von Mata Mata kreuzten wir den Weg einer Giraffenherde. Es gibt nur sehr wenige Giraffen im Kgalagadi. Sie wurden als Teil eines Forschungsprojektes im Jahre 1990 vom Etoshapark in Namibia in den Kgalagadi Transfrontier Park umplatziert. Zu Beginn wurden sie in einem eingezäunten, raubtierfreien Gebiet in der Nähe von Mata Mata ausgesetzt. Seit ihrer Entlassung in die Freiheit ist ihre Anzahl auf über 20 Tiere gestiegen und bis heute halten sie sich hauptsächlich in der Nähe von Mata Mata auf. An diesem Morgen zählten wir 13 Stück, darunter auch einige Jungtiere. Leider hatten wir starkes Gegenlicht, so dass die Fotos blass ausfielen. Spielerisch massen die Giraffen ihre Kräfte, wobei es manchmal ziemlich brutal aussah. Sie rammten die Hörner in den Rumpf ihres Gegenübers und rissen mit dem Kopf die Beine in gefährliche Höhe hinauf. Im Ernstfall bricht sich wohl der eine oder andere ein Bein… 

Nach einer Weile fuhren wir weiter. Wir entschieden uns, die kleinen Umwege über die Look Outs mit den künstlich angelegten Wasserstellen zu fahren, die ideale Bedingungen für Wildbeobachtung und Tierfotografie bieten. Beim ersten Wasserloch war ausser ein paar vereinzelten Schakalen nichts Aufregendes anzutreffen. Wir versuchten unser Glück beim nächsten Bohrloch namens „Veertlende Boorgat“, ca. 35 km von Mata Mata entfernt, erneut. In der Ferne entdeckte Marcus hinter einem grünen Wassertank einen grossen braunen Fleck am Boden. Das wollten wir natürlich genauer überprüfen. Voller Neugier erhöhte ich die Geschwindigkeit leicht auf der leeren Schotterstrasse. Als wir näher kamen, entpuppte sich der braune Fleck als prächtiges schwarzmähniges Löwenmännchen. Wir waren ganz aus dem Häuschen! Eine Löwenbegegnung in der weiten Landschaft ist immer etwas Besonderes. Aber diesmal war es doppelt aufregend, da es unsere erste Begegnung ohne Guide war. Das musste Marcus natürlich mit eindrücklichen Bildern fotografisch festhalten. Entgegen meinen Willen setzte er sich bei offenem Fenster auf den Türrahmen und fotografierte über das Autodach hinweg. Mit der Zeit reihten sich drei weitere Autos hinter uns auf. Gestört durch die zunehmenden Motorengeräusche erhob sich der Pascha und schlenderte vor unserem Fahrzeug über die Strasse. Als der Löwe Marcus aus nächster Nähe anstarrte, wurde es plötzlich unheimlich. In Sekundenschnelle sass Marcus wieder im sicheren Jeep. Der Löwe verliess das Bohrloch und machte sich auf die Suche nach einem ruhigeren Plätzchen etwas abseits der Strasse. 

So, nun aber ab nach Twee Rivieren. Auf den restlichen Kilometern sahen wir Gnus, Strausse, Schakale und vereinzelt einige Springböcke. Jetzt hatten wir endlich eine Hand frei, um ein Nutella Brot zu essen. In Twee Rivieren steuerten wir direkt auf den kleinen Laden zu und tatsächlich befand sich dort ein Bancomat, an dem wir mit unseren Kreditkarten Geld beziehen konnten. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Problem Nummer zwei war also gelöst. Jetzt konnte es nur noch besser kommen, dachte ich. Auf dem Campingplatz parkierten wir unser Fahrzeug und kochten uns Gchwellti mit Käse. Es dauerte lange, bis das Wasser auf dem kleinen Gaskocher siedete. Aber jetzt konnte ich mich wieder entspannen und die Tiere im Busch machten ja auch Mittagspause.

Am frühen Nachmittag machten wir uns wieder auf den Weg zurück nach Mata Mata. Das grelle Sonnenlicht wurde schwächer und wandelte sich in perfektes Fotolicht. Schnell wollten wir einen Fahrerwechsel vornehmen, damit Marcus fotografieren konnte. Ob es sinnvoll ist, den Motor abzustellen, schoss es uns beiden durch den Kopf. Gesprochen haben wir aber nicht darüber. Unbewusst spürten wir beide, dass das Auto nicht mehr anspringen wird. Aber dafür was es nun zu spät. Irgendetwas stimmte mit der Batterie nicht. Nur was? Wir verstehen beide nichts von Autos und waren auf fremde Hilfe angewiesen. Um 17.00 Uhr waren die Strassen beim Auchterlonie Picknickplatz aber leer. Nach dem ersten Frust stellten wir uns auf eine Nacht im Busch ein. In der Verzweiflung wagte ich einen letzten Versuch und prompt sprang der Motor an. Die Zeit reichte jedoch nicht mehr für die übrig gebliebenen Kilometer. Wir mussten uns also entscheiden, ob wir lieber zu spät im Camp eintreffen oder das Tempolimit überschreiten wollten. Die Wahl fiel auf letzteres, im Glauben, dass wir damit weniger Ärger mit der Parkbehörde kriegen werden und stoppten nur noch für wirklich Spezielles unterwegs. Mit einer zweiminütigen Verspätung trafen wir in Mata Mata ein. Der Parkwächter ermahnte uns, in Zukunft pünktlich zu sein und glaubte uns nicht, dass wir ein technisches Problem hatten. Wir fuhren auf den Campingplatz hinunter, suchten uns einen noch freien Stellplatz und machten sogleich den Motorentest. Wieder nichts. Während wir auf den Mechaniker warteten, stellten wir schon mal das Zelt auf. Es wurde dunkel und vom Fachmann war weit und breit keine Spur. Die anderen Campingbesucher bemerkten, dass bei uns etwas nicht stimmte und eilten herbei. Es waren Südafrikaner, denen dieses Problem bestens bekannt war. Es fehlte zwar das nötige Werkzeug, um den Wackelkontakt auf die korrekte Art und Weise zu beheben, aber eine Schraube tat auch ihren Zweck. Als der Mechaniker auftauchte, brauchten wir nur noch Batterieflüssigkeit. Aber damit konnte er nicht dienen. Wir mussten warten, bis die Tankstelle am nächsten Morgen wieder öffnete. 

5. September 2007: Kgalagadi Nationalpark (Mata Mata - Nossob)

Die Tankstelle öffnete erst um 7 Uhr, daher konnten wir etwas länger liegen bleiben. Pünktlich standen wir bei der Tankstelle auf der Matte. Aber der Tankwart nahm es mit der Zeit nicht so genau. Lieber plauderte er noch mit seinen Kollegen, als dass er uns die Batterieflüssigkeit gegeben hätte. Genervt versuchten wir ihm Beine zu machen, aber er liess sich nicht beeindrucken. Um 7.20 Uhr konnten wir endlich los fahren. 

Die Idylle und landschaftliche Schönheit des Auob Flussbetts gefiel uns ausserordentlich gut und wir wären gerne noch länger geblieben, aber wir hatten ja für die dritte Nacht eine Reservation in Nossob und so verabschiedeten wir uns etwas wehmütig von den grasreichen und mit vielen Kameldornbäumen bewachsenen roten Sanddünen.

Die Querverbindung zwischen den Flusstälern entführte uns in ein völlig anderes Landschaftsbild. Sie lief über malerische, wellige Dünenkämme, wobei die Tierbeobachtungen unspektakulär waren. Das Flusstal auf der Nossobseite war breit und wenig bewachsen und gefiel uns persönlich weniger gut als auf der anderen Seite. Hinzu kam, dass die sandige Schotterstrasse über die Jahre hinweg immer mehr absank und sich ziemlich hohe Sandböschungen neben der Piste bildeten. Dies erschwerte die Suche nach den Wildtieren. 

Es wurde kalt am Abend und wir fröstelten trotz warmen Fleece Pullovern. Deshalb schlüpften wir schon bald nach dem Abendessen in die warmen Schlafsäcke. Aber auch die konnten uns nicht genug aufwärmen, sodass wir mehrmals in der Nacht aufwachten. Es war eine bitterkalte Nacht.

6. September 2007: Kgalagadi Nationalpark (Nossob – Gharagab Wilderness Camp)

Bei Tagesanbruch standen die Temperaturen bei 2°C, dennoch spazierten die Südafrikaner mit ihren Flipflops umher. Mich schüttelte es schon beim Hinsehen. Im Nu räumten wir unser Zelt zusammen, stellten uns um 6.15 Uhr vor das Gate und warteten mit voll aufgedrehter Heizung auf die Toröffnung.

Heute fuhren wir nordwärts, wo wir vor allem Gnus, vereinzelte Strausse und kleine Gruppen Springböcke antrafen. Auf einem Baum sass ein Gaukler. Die Farbenpracht seines Federkleides brachte mich erneut zum Staunen. Die Natur ist voller Überraschungen! Die Landschaft wurde mit jedem gefahrenen Kilometer einsamer. Charakteristisch in dieser Gegend waren die riesigen Webervogelnester, die teilweise sogar Bäume zum Einstürzen brachten. 

Der Weg nach Gharagab Wilderness Camp, unserer nächsten Unterkunft, führte über Union‘s End und war ausdrücklich den gebuchten Gästen vorbehalten. Ab Grootkolk begann die Einbahnstrecke und das Sanddünenvergnügen. Die Strasse führte fernab jeglicher Zivilisation und war aufgrund des sandigen Geländes nur mit einem Allradfahrzeug passierbar. Hier waren wir wirklich „in the middle of nowhere“. Ein unvorstellbar weites, einsames Gebiet und so erstaunte es nicht weiter, dass wir keine andere Menschenseele zu Gesicht bekamen. Welch ein Glück, dass unser Fahrzeug nicht streikte. Wegen der anhaltenden Trockenheit konnten wir unsere Tierbeobachtungen an einer Hand abzählen, dafür entschädigte die wunderschöne Landschaft diesen Mangel.

Unser einsamstes Camp hiess Gharagab, das inmitten roter Sanddünen liegt. Auch hier hatten wir von unserem Chalet Ausblick auf ein Wasserloch. Es hatte eine gut ausgestattete Küche und wir nutzten die Gelegenheit, um Pasta zu kochen. Die Tomatensauce all arrabiata war so scharf, dass Marcus auf meine Birnenkonserven umstieg. Mit vollen Bäuchen legten wir uns ins Bett und hofften auf Geräusche in der Nacht. Aber es war totenstill.

7. September 2007: Kgalagadi Nationalpark (Gharagab Wilderness Camp - Grootkolk)

Auf der Weiterfahrt am nächsten Tag wurden dann auch unsere Fahrkenntnisse unter Beweis gestellt. Vier Sanddünen hatten es in sich und vor allem bei der letzten Düne waren wir froh, dass die Gegend von Tieren verlassen war. Unser Fahrzeug bohrte sich kurz vor der Anhöhe immer wieder im Sand ein. Wir steckten fest und mussten die Räder frei buddeln, ehe wir wieder rückwärts rollen konnten. Schliesslich gelang es Marcus mit viel Schwung bis auf die Anhöhe hinauf. Geschafft!

Weil die nördliche Region von den Tieren verlassen war, fuhren wir zurück nach Nossob. Bei der Wasserstelle „Kaspersdraai“ angekommen, machten wir Halt. Wir liessen unseren Blick über die Ebene schweifen. Dabei sah ich in der Ferne etwas unter einem Baum liegen. Ich holte mein Fernglas hervor und erkannte eine Löwin bei ihrem Mittagsschlaf. Erstaunlicherweise kamen die Oryx sehr nahe an die Raubkatze heran, so als wollten sie sie provozieren. Dieses Verhalten ist für uns bis heute ein Rätsel geblieben. Als sich die Löwin an einen für uns kaum sichtbaren Platz legte, suchten wir nach dem Rest des Rudels. Mit etwas Glück entdeckten wir kurz darauf auf der Sandbank eine Löwenmutter mit ihren drei Söhnen. Auch bei ihnen war Siesta angesagt und sie machten es sich trotz stacheliger Sträucher gemütlich. Wir wären gerne noch länger geblieben, aber wir mussten uns auf den Weg zum 150 km entfernten Grootkolk machen. 

Fast am Ende der Strasse, 20 km vor Union‘s End lag in den roten Dünen versteckt, mit Blick auf ein Wasserloch, das offene Camp Grootkolk. Leider blieb die ersehnte Dusche an diesem Tag aus, denn ohne Warmwasser (Nachbarn sei Dank…) wäre es trotz relativ milder Temperaturen kalt gewesen. Und wie immer gab‘s auch an diesem Abend Teigwaren mit Tomatensauce und Birnenhälften. Wir genossen den Abend bei lauen Temperaturen sehr und erfreuten uns am wunderschön leuchtenden Sternenhimmel. 

8. September 2007: Kgalagadi Nationalpark (Grootkolk - Nossob)

Die aufgehende Sonne und der Morgennebel verzauberten an diesem Morgen die Sanddünen und verliehen ihnen etwas Magisches. Die Stimmung hätte noch so schön sein können, sie machte unseren Frust nicht wett. So sehr wir uns auch anstrengten, wir sahen kaum Tiere. Der Busch war leer, lauter nichts. Wir waren enttäuscht, aber es half nichts. Wir mussten unseren zweitletzten Tag im Park endgültig abschreiben.

Nach dem Abendessen setzten wir uns erstmals auf den Beobachtungsstand mit Ausblick auf eine beleuchtete Wasserstelle, der den Gästen 24 Stunden zur Verfügung stand. Bei unserem heutigen Glück machten wir uns jedoch keine grossen Hoffnungen, irgendetwas Spannendes vor die Linse zu kriegen. Wir sassen ruhig da und spähten durch die Rille zwischen der Holzverkleidung des Verstecks. Endlich bewegte sich etwas im Dunkeln. Springböcke näherten sich der Wasserstelle. Bei manchen war der Respekt zu gross. Sie trauten sich trotz riesigem Durst nicht ans Wasser heran. Es war sehr interessant zu sehen, wie vorsichtig die Tiere waren. Dann erschien in der Dunkelheit die Silhouette einer braunen Hyäne. Im Scheinwerferlicht an der Wasserstelle konnten wir sie dann klar und deutlich erkennen. Sie löschte ihren Durst und verschwand ebenso geheimnisvoll wie sie auftauchte. Leider war es zu dunkel für ein Foto, aber der Moment war einzigartig. Unsere erste Begegnung mit einer braunen Hyäne. Die Müdigkeit wurde dann doch zu gross und so begaben wir uns zurück zu unserem Schlafplätzchen. 

9. September 2007: Kgalagadi Nationalpark (Nossob – Twee Rivieren)

Um 5.45 Uhr klingelte der Wecker. Wieder war es bitterkalt und es kostete viel Überwindung, aus dem warmen Schlafsack zu steigen. Schnell schlüpften wir in unsere Kleider, die wir am Abend ins Zelt mitnahmen, damit sie nicht ganz so kalt waren am Morgen. Jeder Handgriff sitzte und rasch hatten wir gepackt. Nun brauchten wir noch unseren „Laufzettel“, sozusagen der Beweis, dass wir auch wirklich rechtzeitig in der gebuchten Unterkunft erschienen. Um 6.20 Uhr stellten wir uns in die Autoschlange vor dem Gate. Wir waren Nummer vier. Pünktlich um 6.30 Uhr öffnete der Parkwächter das Tor und suchte in der Holzschachtel nach unserem Laufzettel. Da sind wohl einige Scheine hängen geblieben, denn so viele Gäste wie er Blätter hatte, fasste die Campsite ganz bestimmt nicht... 

Wie jeden Morgen fuhren wir voller Neugier los und waren gespannt, was der Busch an diesem Tag zu bieten hatte. Natürlich hofften wir auf Raubtiere, denn längst hat uns das Katzenfieber gepackt. Und nach der gestrigen Flaute hatten wir das auch mehr als verdient. Vergebens hielten wir angestrengt Ausschau nach allem, was sich bewegte. Nichts. Die Tiere hielten sich noch immer versteckt. Der Frust war riesig! Bei Nossob war nichts auszumachen und wir beschlossen, möglichst schnell in den Umkreis von Twee Rivieren zu fahren. Mit erhöhter Geschwindigkeit fuhren wir über die Sandpisten. „Ein Löwe“, riefen wir beide wie aus einer Pistole geschossen. Die Bremsspur der Vollbremsung war lang. Eine selbstbewusste Löwin sonnte sich auf der Sandbank direkt neben dem Wegrand. Sie war wunderschön! Von unserem Auto schien sie keine Notiz zu nehmen. So konnten wir ohne schlechtes Gewissen ganz nahe an sie heran fahren. Wir zweifelten keine Sekunde, dass die Löwin einem Rudel angehörte und noch mehr Tiere in der Nähe zu finden sein müssen. Überzogen fuhren wir einige Meter weiter vor. Und schon bald entdeckten wir die Junggesellen beim Spielen, Klettern und Raufen. Der ältere Junglöwe verpasste dem Jüngling eine Ohrfeige... Das gehörte wohl zum Spiel! Es war wunderbar, ihnen zuzusehen und immer wieder konnten wir Parallelen zu unseren Hauskatzen erkennen. Leider hatten wir starkes Gegenlicht und viele Fotos wurden blass. Aber wir waren uns des Privilegs bewusst, diese Löwenfamilie in ihrem natürlichen Verhalten exklusiv beobachten zu dürfen. Wir hätten stundenlang zu sehen können. Nicht alle Besucher schienen sich an die Vorschrift zu halten, keinen Abfall wegzuwerfen. Schade, aber es war trotzdem amüsant, den Löwen bei ihrer neusten Entdeckung zuzusehen. Der Junggeselle nahm die Bierflasche ins Maul und trug sie davon. Hoffentlich verletzt er sich nicht daran, dachte ich. Glücklicherweise ging alles gut. Auf der Sandböschung und somit auf unserer Augenhöhe schlenderten die Löwen knapp 1.5 Meter neben unserem Auto vorbei. Als sie exakt auf unserer Höhe waren, drehten sie den Kopf und schauten uns direkt in die Augen. Das Fenster stand offen und der Motor war abgestellt (elektrische Fensterriegel). Uns fiel das Herz in die Hose! Sie zogen aber friedlich vorbei und mittlerweile reihten sich immer mehr Autos hinter uns auf und versperrten die Rückfahrt. So ein Mist, wir waren zuerst da. Dann beobachteten wir, wie das gleiche Löwenmännchen, das auch die Bierflasche ins Maul nahm, den Seitenspiegel und die Stossstange eines anderen Fahrzeugs auskundschaftete. Seine Zähne hinterliessen Spuren. Alles musste er ins Maul nehmen. Eigentlich müsste er längst aus diesem Alter raus sein ;-) Als die Autokolonne immer länger wurde, setzten wir unsere Fahrt nach Twee Rivieren fort. 

Wir rasteten auf dem Picknickplatz Melkvlei im Schatten unter einem grossen Baum. Hier durften wir aussteigen. Ich verstand zwar das Prinzip nicht ganz, denn diese Plätze waren auch nicht eingezäunt, aber wie auch immer. Es tat gut, die Beine zu vertreten und ein Nickerchen zu machen. 

Am späteren Nachmittag gingen wir wieder weiter und kamen bei Familie Strauss vorbei. Dann kreuzten wir einen Südafrikaner, der uns schon in Nossob begegnete. Er stoppte und berichtete uns von einem kräftigen Löwenmännchen, der bei der Querverbindung ins Auobtal eine Elenantilope riss. Das konnten wir uns natürlich nicht entgehen lassen und fuhren geradewegs dorthin. Es war ein starker Löwe mit prächtiger blonder Mähne. Was für ein Glück! Heute schien der Tag der Löwen zu sein! Nach einem kurzen power nap machte er sich wieder über seine Beute her. Er schleifte sie in den Schatten und machte sich an die Eingeweide. Wie immer vergassen wir die Zeit und so mussten wir leider um 18.00 Uhr mit Bleifuss zurück ins Camp rasen. 

10. September 2007: Kgalagadi Nationalpark (Twee Rivieren) – Keetmanshoop

Die letzte Pirschfahrt führte uns übers Auobtal über die Querverbindung nach Kij Kij und zurück nach Twee Rivieren. Leuchtend rote Sanddünen standen in attraktivem Kontrast zu den baumbestandenen, fossilen Flusstälern. Die Landschaft ging bereits in rötliche, aride Namib über.

In einem Baum sahen wir eine Eule, für die der Tisch im Kgalagadi reichlich gedeckt war. In den Dünenkämmen stiessen wir auf eine grosse Elenherde. Natürlich überprüften wir den Ort, an dem am Vortag der Löwe seine Beute erlegte. Ausser dem Skelett blieb aber nichts mehr übrig. Zum Abschluss trafen wir noch auf eine riesige Webervogelansammlung bei einer Wasserpfütze. Wir waren erstaunt, dass die Vögel in diesem Wirrwarr nicht zusammen stiessen. 

Nun hiess es Abschied nehmen von dieser schönen Landschaft. Wehmütig checkten wir in Twee Rivieren aus und machten uns auf den langen Weg zurück. Am Zoll machte uns der Grenzwächter auf das fehlende vordere Nummernschild aufmerksam. Dieses mussten wir auf der Holperpiste ausserhalb des Parks verloren haben. Generell wurde unser Auto auf den 3000 gefahrenen Kilometer etwas in Mitleidenschaft gezogen. Neben dem verlorenen Nummernschild hatte die Frontscheibe einen Steinschlag abbekommen, die Stossdämpfer quietschten bei jeder grösseren Bodenwelle, der Lack hatte ein paar Kratzer mehr und die Abdeckung bei der Handschaltung brach entzwei. Hoffentlich müssen wir bei der Autovermietung keinen Schaden bezahlen.

Die Dämmerung setzte schon ein, als wir auf der Campsite der Quivertree Lodge ankamen. Wir beeilten uns mit dem Aufstellen des Zeltes und bereiteten unser Abendessen vor, solange es noch hell war. Dann genossen wir ein letztes warmes Abendessen in Afrika. Die Japaner von nebenan schielten eifersüchtig auf unsere Teller. Sie besichtigten nach ihrer Ankunft gemütlich den Köcherbaumwald und waren nun nicht gerüstet. Anfängerfehler, dachten wir, denn vor zwei Wochen ging es uns genauso... ;-) 

11. September 2007: Keetmanshoop - Windhoek

Wir schoben die Besichtigung des Köcherbaumwaldes auf den heutigen Morgen und besuchten anschliessend noch den Giant’s Playground, ein Irrgarten aus erodiertem Granit, der tatsächlich wirkt, als hätten Riesen mit den Steinen Fussball gespielt.

Als wir an der Quivertree Lodge vorbei fuhren, sahen wir am Zaun einen Gepard. Ich habe also doch richtig gehört, als der Besitzer auf der Hinfahrt etwas von Gepard murmelte. Erst im Nachhinein erfuhr ich, dass die Gäste bei der Fütterung zusehen und die Tiere sogar streicheln können. Zu schade, dass wir das verpassten! Wir machten noch ein Foto vom Gepard und fuhren zurück nach Windhoek. Es war eine unspektakuläre Fahrt. 

Auf dem Campingplatz in Arebosch wurden wir wieder nach dem powerpoint gefragt, aber diesmal waren wir gefasst. Die vielen Lebensmittel, die übrig blieben, konnten wir beim Camping abgeben. 

12. - 14. September 2007: Windhoek - Zürich

Bei der Fahrzeugrückgabe in Windhoek ging alles glatt und wir mussten trotz kleiner Schäden nichts bezahlen. Viel zu früh trafen wir am Flughafen in Windhoek ein. Das dachten wir zumindest, denn ich war felsenfest davon überzeugt, dass zwischen Namibia und Südafrika auf dem Rückweg die Uhr um eine Stunde zurück gestellt werden muss. Gemütlich sassen wir in der Abflugshalle, assen Chips und blätterten in unseren Büchern. Durch den Lautsprecher wurden Passagiere aufgerufen, die dringend zum Gate gehen sollten. Ich hörte gar nicht richtig hin, denn wir waren ja zu früh. Oder eben auch nicht! Plötzlich sprang Marcus auf und sagte, dass unsere Namen aufgerufen wurden. Wir packten unsere Rucksäcke, spurteten durch die Passkontrolle zum Gate und ins Flugzeug. Die Crew hatte keine Freude an uns. Aber wir waren nicht ganz die letzten. Nach uns kam noch ein weiterer Passagier, bevor die Türen geschlossen wurden und wir nach Johannesburg abflogen. Nach einer kurzen Zwischenlandung und einem weiteren Nachtflug landeten wir mit vielen tollen Erinnerungen wieder in Zürich.

Viel zu schnell war der Urlaub vorbei. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten genossen wir das Campieren und unsere uneingeschränkte Freiheit in diesem traumhaft schönen Nationalpark sehr. Wir lernten eine Menge dazu und werden von den eindrücklichen Erlebnissen dieser Reise noch lange sprechen. Es war unbestritten eine Reise, welche in allen drei Dimensionen Landschaft, Tierbeobachtungen und Emotionen einzigartig war. Wir haben noch immer nicht genug von Afrika und werden eines Tages eine Reise in ähnlichem Stil wiederholen. 

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Auge in Auge mit der Elefanten-Matriarchin

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Der Beginn einer grossen Liebesgeschichte