Wüstenzauber und Eiskristalle

Als begeisterte Weltenbummlerin war für mich klar, dass ich neben unserem 2.5-wöchigen Kanadaurlaub im Sommer noch ein zweites Mal in diesem Jahr verreisen möchte. Nur wohin? Nachdem ich diverse Reiseprospekte durchstöberte, war ich von der Schönheit der argentinischen und chilenischen Landschaft begeistert. Das nächste Reiseziel stand fest. 

Wie immer kümmerte ich mich um die Reiseplanung. Die Flüge waren bereits im Februar sehr gut gebucht und die Preise für diese Jahreszeit exorbitant hoch. Iberia hatte mit Abstand die attraktivsten Tarife, sodass mir die Entscheidung leicht fiel, obwohl ich bis dato einen grossen Bogen um diese Fluggesellschaft machte. Auf der Reisebranche hat Iberia wahrhaft keinen guten Ruf. Lassen wir uns also überraschen... Die Landleistung buchte ich über das Deutsche Reisebüro Enchanting South America. Die Route stand schon früh fest: Neben den beiden Hauptstädten Buenos Aires und Santiago de Chile, die zugleich auch Ankunfts- und Abflugsort von und nach Europa waren, sollte die Reise in die Regionen El Calafate, in den Nationalpark Torres del Paine und in die Atacamawüste führen. Die Buchung der Unterkünfte stellte sich als kniffliger heraus als ich mir vorgestellt hatte und so brauchte es seine Zeit, bis schliesslich alle Reservationen bestätigt waren. 

Für uns stellte diese Reise in zweierlei Hinsicht eine Premiere dar. Zum einen begaben wir uns mit sehr limitierten Spanischkenntnissen in für uns unbekanntes Terrain und zum anderen verbrachten wir das erste Mal Weihnachten und Neujahr im Ausland. Beides waren für uns neue Erfahrungen und wir waren gespannt, wie wir damit zurechtkommen würden.

 

18. Dezember 2009: Zürich – Buenos Aires

Am 18. Dezember ist endlich der grosse Tag gekommen. Wir checkten das Gepäck bereits am Vortag ein, da wir an diesem Freitag beide noch arbeiteten und wir uns damit ein bisschen Luft verschaffen wollten. Nun ging es endlich „ab in den Süden“, aber diesmal etwas weiter, in die einzigartigen Naturparadiese von Chile und Argentinien. Die Flüge von Zürich via Madrid nach Buenos Aires starteten rechtzeitig und punkto Qualität fanden wir ungefähr das vor, womit wir gerechnet hatten: nur wenige Monitoren zur Unterhaltung, die so alt waren, dass sie sonst wahrscheinlich nur noch in Museen anzutreffen sind und ein miserabler Service. Während der Nacht und am Morgen mussten wir uns die Getränke sogar selber in der Küche besorgen. Naja, der Flug war schnell abgeschrieben, denn die Neugier auf die Reise war gross. Auf ging’s zu neuen Abenteuern!

 

19. - 20. Dezember 2009: Buenos Aires

Trotz Wolken war es heiss und schwül in Buenos Aires. Herr Raabe von Enchanting South America holte uns persönlich am Flughafen ab und brachte uns ins Hotel Esplendor Palermo Soho. Das kleine Boutiquehotel liegt im ruhigen Stadtteil Palermo und befindet sich in unmittelbarer Nähe zu tollen Restaurants. 

Am Nachmittag erkundeten wir Buenos Aires zu Fuss, das auch „Paris Lateinamerikas“ genannt wird. Es ist eine beeindruckende Stadt und die Luft ist, wie es der Name schon sagt, sehr gut. Die Hauptstadt Argentiniens kombiniert in einzigartiger Weise lateinamerikanische Lebensart und Energie mit europäischer Architektur und Kultur. Herrliche Stadtparks, herrschaftliche Kolonialbauten, ein imposanter Hafen und Tango sind Inbegriff dieser Weltstadt. Von einer Minute auf die nächste öffnete Petrus die Schleusen. Es goss in Strömen, sodass sich innert kürzester Zeit Seen und Bäche auf den Strassen bildetet. Wir flüchteten in die nächste Bar, tropfnass waren wir allerdings schon. 

Aufgrund unseres kurzen Aufenthalts in Buenos Aires buchten wir für den folgenden Tag eine Stadtrundfahrt, um möglichst viele Eindrücke von dieser Metropole zu bekommen. Mit einem Hop-on-Hop-off-Bus starteten wir unsere Rundfahrt beim Plaza de Mayo, wo die Stadt ihren Ursprung hat. Auf der Tour kamen wir vorbei am Tangoviertel La Boca, welches durch seine bunt bemalten Blechhäuser besticht, am Hafen Puerto Madero, dem prunkvollen Friedhof Recoleta und der heute modernsten Wohngegend San Telmo. Einmal mehr unterschätzten wir das Wetter in Südamerika. Obwohl es mehrheitlich bewölkt war, war die Sonne intensiver als wir angenommen hatten. Noch während der Stadtrundfahrt holten wir uns auf dem Upper Deck einen Sonnenbrand an den Armen und im Gesicht. Also ging es erst mal zurück ins Hotel zum „verarzten“. Anschliessend wagten wir uns nur noch langärmlig und mit Sonnencreme auf die Strasse. Auf Empfehlung von Herrn Raabe genossen wir am Abend ein wunderbares Filet Mignon mit unzähligen Beilagen im Restaurant La Cabrera. Das war wirklich ein Volltreffer und wir kamen punkto Fleisch voll auf unsere Kosten.

 

21. - 22. Dezember 2009: Buenos Aires - El Calafate (Los Glaciares Nationalpark)

Nach einem kurzen Stopp in Buenos Aires ging es weiter mit Aerolinas Argentinas nach El Calafate, dem Tor zur faszinierenden Gletscherwelt im Süden Argentiniens. Wir hatten Glück, denn wir bekamen auf dem Flug Notausgang-Sitzplätze zugewiesen und konnten so unsere Beine etwas strecken.

Verglichen mit den feuchtheissen Wetterbedingungen in Buenos Aires, herrscht in El Calafate ein raues Klima. Der Transfer zu unserer Unterkunft für die nächsten drei Nächte klappte wiederum einwandfrei. Das Hotel Esplendor gefiel uns ausserordentlich gut. Es ist ein authentisch eingerichtetes Haus und vermittelt dem Gast ein Gefühl der Kultur. 

El Calafate hatte sich in den letzten Jahren von einem armen Dorf, in dem die Zeit stillstand, zu einem erschlossenen Städtchen gewandelt. Um die gewaltigen Gletscher zu besichtigen, muss man sich leider auch als Individualtourist einer geführten Veranstaltung anschliessen. Die Teilnehmerzahl unserer Gruppe beschränkte sich glücklicherweise auf 10 Personen. Mit dem Kleinbus ging es durch steppenartige Landschaft entlang des Lago Argentino in den Nationalpark Los Glaciares zum Perito Moreno. Dieser eindrucksvolle Gletscher gehört zu den dynamischsten und am leichtesten zugänglichen Eisfeldern der Erde. Per Schiff näherten wir uns bis auf ein paar wenige Meter der 60 m hohen Eiswand. Aus dieser Froschperspektive wurde einem das Ausmass des Eises erst wirklich bewusst. Anschliessend ging es auf die Aussichtsplattformen, die dem Betrachter unterschiedliche Perspektiven auf das prachtvolle Eismeer mit den sich darin spiegelnden Farben boten. Wir waren überwältigt! Einmal mehr kamen wir in den Genuss eines unvergleichlichen Naturspektakels: 30 Kilometer weit reichte die Eiszunge des Gletschers in das Gebirgsmassiv der Anden hinein, als 60 Meter hohe Steilwand fiel er nach vorn hin ab. Blau leuchteten seine "Klippen". Eine enorme Spannung durch nachschiebende Massen liess das Eis krachen und knirschen. Gelegentlich stürzten tonnenschwere Stücke unter urweltlichem Getöse aus den Eiswänden in den milchigen Gletschersee und schwammen als soeben geborene Eisberge taumelnd davon. Leider machte uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Der Nieselregen zwang uns immer wieder, die Linse unserer Fotokamera zu putzen, an der sich beharrlich feine Wassertropfen festsetzten, oder die Kamera sogar ganz ins Trockene wegzuräumen. Wir waren frustriert, dass wir solch ein Pech mit dem Wetter hatten. Als „Wiedergutmachung“ wurden wir Zeuge einer spektakulären Szene: Ein riesiger Eisberg, welcher lange Zeit unter dem Eismeer verborgen lag, glitt unter der Eismasse an die Wasseroberfläche hervor und schimmerte in wunderschönen, intensiven Blautönen. Den ganzen Nachmittag standen wir staunend und tief berührt vor dem blauen Wunder Patagoniens und gaben uns diesem Seh- und Hörerlebnis hin.

Am Abend spazierten wir vom Hotel den Hügel hinunter und schlenderten den baumbestandenen Avenidas entlang, vorbei an Coffeeshops, Modeboutiquen und Kunstgalerien. Wir suchten uns ein gemütliches Steakhouse und liessen den Tag friedvoll ausklingen.

23. Dezember 2009: El Calafate (Los Glaciares Nationalpark)

Am zweiten Tag stand eine Bootstour zu den drei Schwestergletschern Upsala, Spegazzini und Onelli auf dem Programm. Wie am Vortag warteten wir neben der Quartierstrasse auf unseren Bus. Dieser kam und kam nicht und wir befürchteten, dass wir vergessen gegangen sind. Nach 15 Minuten Wartezeit gingen wir zurück in die Hotellobby und trafen auf unsere Tourführerin. Es stellte sich heraus, dass sie über die Schotterstrasse zum Hotel fuhren und uns überall suchten. Nun mussten wir die verlorene Zeit wieder aufholen, um rechtzeitig im Hafen anzukommen. Geschafft! Wir suchten uns ein nettes Fensterplätzchen auf dem Schiff und begaben uns auf das Deck. Der Wind blies stark und die Temperaturen sanken, je mehr wir uns dem Gletscher näherten. In Vollmontur (Mütze, Schal und Handschuhe) trotzten wir dem Wetter. Zuerst steuerten wir den Upsala Gletscher an. Wir fuhren auf dem Lago Argentino vorbei an riesigen Eisschollen, die weit grösser sind als man annimmt. Denn es ist nur ein Zehntel der Eismasse sichtbar, der Rest verschwindet im Wasser. Es ist der grösste Gletscher der Region und der längste Südamerikas. Der Upsala Gletscher kommt wie ein breiter, alles fressender Eisstrom den Berghang hinunter und mündet spektakulär ins milchig farbene Wasser des Lago Argentino. Anschliessend ging’s zum Spegazzini Gletscher, welcher mit enormen Steilwänden bis zu 135 m Höhe besticht. Die Zufahrt zur Onellibucht war leider vereist und somit nicht passierbar. Als „Ersatz“ fuhren wir nochmals zum Perito Moreno. Gelegentlich zeigte sich der blaue Himmel und die Sonne blinzelte zwischen den Wolkenfetzen hindurch, und als ihre zögerlichen Strahlen die Eismasse erreichten, brachten sie den Perito Moreno zum Leuchten wie einen riesigen, ungeschliffenen Diamanten. Es war unbeschreiblich schön und ein absolut krönender Abschluss! Nur schweren Herzens trennten wir uns von dieser überwältigenden Szenerie. 

24. Dezember 2009: El Calafate - Torres del Paine Nationalpark

Mit dem öffentlichen Bus setzten wir unsere Reise über die Anden von El Calafate nach Puerto Natales fort. Obwohl mir der Reiseberater versicherte, dass die Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln auch für Touristen absolut unbedenklich ist, hatte ich ein unbehagliches Gefühl. Die Busfahrt war aber tatsächlich unproblematisch und kann mit einem Car in der Schweiz verglichen werden. Im Gegensatz zur Eisenbahn fahren die Busse in Südamerika zuverlässig und sicher. Bei der argentinisch / chilenischen Grenze begann das Grenzspiel oder besser gesagt das Drama. Alle Gepäckstücke wurden mittels Röntgengerät strengstens kontrolliert. Auf der argentinischen Seite gab es keine Probleme, doch bei der Einreise nach Chile entdeckten die Zollbeamten einen Apfel, der in unserer Lunch Box war. Unglücklicherweise hatten wir auf dem Zettel bestätigt, dass wir kein Obst oder andere frische Lebensmittel im Gepäck mitführten. Der Zollbeamte reagierte äusserst empfindlich darauf. Als Konsequenz mussten wir erneut einen Bogen ausfüllen, mit dem Unterschied, dass wir beim Obst ein „ja“ ankreuzten. Am liebsten hätte ich den Apfel vor Ort gegessen, aber ich verkniff mir diesen Spass. Der schöne Apfel landete in der Mülltonne, ein Bussgeld mussten wir gottseidank nicht entrichten. Nach diesem Fauxpas setzten wir unsere Fahrt durch die Pampa bis Puerto Natales fort. 

Dort angekommen, erwarteten wir einen Vertreter von der Mietwagenfirma Budget, bei der wir ein Leihwagen reservierten. Weit und breit war niemand da und der Busbahnhof leerte sich. Dann endlich sprach uns eine Frau auf unsere Reservation an, leider nur auf Spanisch. Ich verstand kein Wort, konnte aber meinen Namen auf ihren Papieren lesen. Demzufolge waren wir richtig. Gutgläubig nahmen wir das Auto mehr oder weniger ungeprüft wegen massiven Verständigungsproblemen entgegen. Hoffentlich werden wir nicht für unsere Fahrlässigkeit bestraft, schoss es mir durch den Kopf. Die nächsten drei Stunden fuhren wir mit dem Pick-up auf einsamer Teerstrasse in den Torres del Paine Nationalpark, das Mekka für Natur- und Wanderfreunde. An der Parkgrenze entrichteten wir die Eintrittsgebühr. Wenige Meter dahinter erreichten wir eine äusserst enge und in schlechtem Zustand stehende Brücke. Ich hatte meine Zweifel, dass wir diese mit unserem breiten Leihwagen passieren konnten. Aber es blieb uns nichts anderes übrig. Gemäss dem verwahrlosten Schild mussten mit Ausnahme des Fahrers alle Insassen aus Gewichtsgründen zu Fuss über die Brücke gehen. Marcus stieg also aus, ich näherte mich langsam der ominösen Brücke und fuhr vorsichtig darauf. Meter um Meter manövrierte ich den Jeep über die Brücke. Geschafft – sogar ohne Kratzer! Auch die Schotterpiste von der Brücke bis zur Unterkunft war in einem himmeltraurigen Zustand. Aufgrund der attraktiven Lage am Fusse der Torres-Spitzen konnte sich das Hotel allerdings die hohen Zimmerpreise trotz dürftiger Strassenverhältnisse offensichtlich leisten. 

25. Dezember 2009: Torres del Paine Nationalpark

Auf Empfehlung des Hotels erkundeten wir den Park am ersten Tag mit dem Auto. Grosse Wolkenfelder hingen am Himmel und verhüllten die Berge in dichten Nebel. Die erhofften Fotos, auf denen die Berge von den ersten Sonnenstrahlen erhellt werden und sich in den Seen widerspiegeln, blieben leider aus. Nur zwischendurch klarte der Himmel leicht auf. Wir nutzten die kurzen Zeitfenster, um den Blick auf das ferne Bergmassiv mit den granitenen Zinnen des Cerro Torre Grande, des Paine Chico und der Cuernos del Paine von unserem Lieblingsplatz am Lago Pehoe fotografisch festzuhalten. Mit den wenigen schwachen Sonnenstrahlen liess der Park die Schönheit der südpatagonischen Natur aufblitzen: Türkise Seen, bizarre Felsformationen und hängende Gletscher.

Das Essen im hoteleigenen Restaurant schmeckte am Weihnachtsabend durchschnittlich. Dazu leisteten wir uns einen edlen Tropfen Wein. Eine ganze Flasche war dann doch etwas zu viel für uns zwei. Aber das war kein Problem, wir konnten die angefangene Flasche am nächsten Tag einfach wieder mitnehmen. Wirkliche Weihnachtsstimmung kam bei uns nicht auf.

26. Dezember 2009: Torres del Paine Nationalpark

Am Stephanstag hofften wir auf neues Wetterglück und machten uns nochmals mit dem Auto auf den Weg. Wir fuhren zum Lago Grey auf der anderen Seite des Parks, in dem Eisberge vom gleichnamigen Grey Gletscher trieben. Es war allerdings nicht zu vergleichen mit dem Spektakel des Perito Moreno und so zogen wir schon bald weiter. Die lustigen Guanakos waren immer wieder dankbare Fotomotive. Wegen des schlechten Wetters nutzten wir den trüben Nachmittag, um die 160 km zurück nach Cerro Castillo zu fahren und zu tanken. Unterwegs stoppten wir am Lago Sarmiento bei einer Gruppe Flamingos. Die Vögel waren aber nur schwer vor die Linse zu kriegen. In Cerro Castillo, einem kleinen überschaubaren Dorf, konnten wir die Tankstelle ohne fremde Hilfe nicht finden. Sie bestand aus zwei winzig kleinen Hütlein, bei denen aber niemand wartete. Deshalb klopften wie beim Nachbarhaus. Eine Frau kam an die Tür. Als wir auf die Tankstelle zeigten, ruf sie ihren Mann im Garten, worauf er seiner 72-jährigen Mutter telefonierte. Diese, das Haar auf Lockenwicklern aufgerollt, fuhr kurze Zeit später mit ihrem Auto vor und füllte uns freundlich den Tank. 

27. Dezember 2009: Torres del Paine Nationalpark

Am dritten Tag im Torres del Paine Nationalpark war das Wetter immer noch nicht besser. Wir wollten unbedingt noch einen Blick auf das Wahrzeichen des Parks, die „Torres“ werfen. Die Wanderung von unserem Hotel bis zu den Torres-Spitzen wurde mit fünf bis sechs Stunden veranschlagt. Wir planten jedoch nur einen Teil der Wanderung zu machen, um das Paine-Massiv fotografieren zu können. Damit wir nicht unnötig Gepäck tragen musste, liessen wir unser Mittagessen im Hotel zurück und machten uns lediglich mit 1.2 Liter Wasser auf den Weg. Das war eine Fehlentscheidung, wie sich später heraus stellte. Während dem Aufstieg hatten wir entgegen unseren Erwartungen keine Sicht auf die 2600 m hohen Türme. Wir wanderten weiter in der Hoffnung, dass sich irgendwann ein Blick auf die Bergspitzen bieten würde. Das letzte Teilstück stieg stark an und führte über grosse Steinbrocken. Wir konnten den Wanderweg nur noch erahnen und kletterten immer weiter nach oben. Der starke Wind liess sogar die Schneeflocken zeitweise aufwärts fliegen. Endlich erreichten wir den Gipfel. Die Aussicht auf die Türme war atemberaubend, auch wenn die Berge teilweise in dichten Wolken verhüllt waren. Wir setzten uns auf einen Stein und beobachteten, wie die Wolkenfelder in Zeitraffer weiterzogen und der Sonne Platz machten. Der Wind blies uns eiskalt um die Ohren, machte das Aufrechtstehen fast unmöglich. Hier erlebten wir die Fülle und Pracht der Natur mit allen Sinnen. Wir sahen, rochen, hörten, und fühlten reine Urkraft. Langsam plagten mich der Hunger und der Gedanke an den zweistündigen Rückmarsch, der noch vor uns lag. Der Rückweg dauerte schlussendlich wegen meiner Knieprobleme länger als der Aufstieg. Aus einer geplanten 3-Stunden-Wanderung wurden 8 Stunden. 

Zurück im Hotel stürzten wir uns auf das Wasser und die trockenen Sandwiches vom Morgen. Am Abend liessen wir uns das Buffet im hoteleigenen Restaurant schmecken. Anschliessend packten wir unsere Reisetaschen für den nächsten Tag und fielen müde ins Bett. Es lag eine kurze Nacht vor uns…

28. Dezember 2009: Torres del Paine Nationalpark - San Pedro de Atacama

An diesem Tag stand uns eine weitere technische Verschiebung bevor. Um 4.30 Uhr morgens riss uns der Wecker unsanft aus den Träumen. Wir wollten noch eine kleine Stärkung zu uns nehmen, bevor wir uns auf die 5-stündige Fahrt zum Flughafen von Punta Arenas machten. Das Restaurant versprach uns, das Frühstück an der Bar zu servieren. Es war gut geplant und trotzdem ging alles schief. Deutsche Gäste machten sich bereits über unser Frühstück her und assen „rübis und stübis“ alles weg. Wir hatten das Nachsehen und mussten uns mit ein paar trockenen Farmerstängeln und Nüssen, welche wir an der Rezeption erhielten, zufrieden geben. Die Hotelrechnung beglichen wir bereits am Vorabend. Als wäre die Frühstücksstrafe nicht schon genug, wollte der Rezeptionist doch tatsächlich das Trinkgeld ein zweites Mal einfordern. Das war ziemlich daneben! Später stellte sich heraus, dass sie auch das Zimmer auf meiner Kreditkartenabrechnung doppelt belasteten! Auf dem Weg zum Flughafen verhinderten uns tausende Schafe die Weiterfahrt. Sie rannten kopflos vor uns über die Strasse. Unser Auto war eine rote Insel im weissen Schafmeer, eine willkommene Abwechslung auf der langen Fahrt. 

Der Flughafen Punta Arenas war sehr klein und ein Mietwagendepot fanden wir nicht. Ein Mitarbeiter der Vermietung liess uns am Telefon ausrichten, dass wir das Auto auf dem Parkplatz abstellen und den Schlüssel unter der Sonnenblende deponieren sollten. Wenn das nur gut geht. Wir waren kritisch, denn jeder, der uns beobachtete, konnte das unverschlossene Auto unbemerkt entwenden. Aber es ging alles gut.

Hungrig warteten wir am Flughafen und hofften auf ein Sandwich auf dem Flug nach Santiago de Chile. Zu unserem Schrecken gab es nur trockenes Süssgebäck, das grauenvoll schmeckte und ich nicht runter kriegte. Beim Zwischenstop in Santiago de Chile wäre die Auswahl zwar grösser gewesen, aber die Umsteigezeit betrug lediglich 30 Minuten und wir waren froh, den Anschlussflug nach Calama überhaupt zu erwischen. Ob mit unserem Gepäck auch alles gut geht? Die Schachtel mit dem Süssgebäck auf dem Weiterflug kannte ich bereits und lehnte dankend ab. Mir wurde schlecht vor Hunger. Auf dem Flugplatz in Calama bekamen wir einen ersten Eindruck von der Schönheit der Landschaft. Der Sonnenuntergang verlieh der Gegend etwas Magisches! In Calama nahmen wir Gepäck und Mietwagen entgegen (wenigstens klappte das) und wollten schnellstmöglich die letzte Autostunde nach San Pedro de Atacama hinter uns bringen. Die nächsten fünf Nächte waren wir in einem Hostel untergebracht. Ich war skeptisch und wusste nicht, ob das eine weise Entscheidung war. Als wir im Wüstenstädtlein San Pedro de Atacama ankamen, war es bereits stockdunkel. Einen vernünftigen Plan hatte ich nicht dabei, denn ich dachte, wir würden das Hostel problemlos finden. Falsch gedacht! Die engen Gässlein, die hohen Lehmmauern und die vielen Einbahnstrassen raubten uns jegliche Orientierung. Wir tappten im Dunkeln. Was nun? Nachdem wir schon gut eine Stunde planlos in der Stadt umher geirrt waren, nahmen wir das iPhone zur Hand und welch Wunder, wir hatten Empfang. Auf der Homepage vom Hostel Elim fanden wir schliesslich einen rudimentären Stadtplan. Endlich! Um 23.00 Uhr standen wir vor dem Tor unserer Unterkunft und klingelten. Die arme Frau, dachte ich, hoffentlich schläft sie nicht schon. Aber die ganze Familie war noch wach und wir wurden freundlich auf Spanisch zu unserem Zimmer geführt. Das Hostel ist ein eigenes kleines, rundum geschlossenes Dorf. Die Zimmer waren tiptop, einfach aber sauber. Meine Notreserve aus der Schweiz (Basler Leckerli) stillte den grössten Hunger. Kurz darauf sanken wir todmüde ins Bett. Es war ein langer Tag.

29. Dezember 2009: San Pedro de Atacama

An diesem Morgen schliefen wir aus und schlenderten anschliessend zum einzigen Supermarkt im Städtchen. Bei Tageslicht bekamen wir auch einen besseren Eindruck von San Pedro. Enge Gassen mit Häusern aus getrocknetem Lehmziegel und roter Staub prägen das Dorfbild. Im Dorfkern steht eine weisse Lehmkirche mit eindrucksvoller Kaktusholzdecke aus dem Jahr 1744. Die Auswahl im Dorfladen war hauptsächlich auf Konserven beschränkt. Ich kaufte etwas Frischkäse für die Sandwiches, den Rest wollten wir in einem Supermarkt einkaufen. Da unser Pick-up in einer hohen, unangenehmen Frequenz quietschte, entschlossen wir uns, diesen am Flughafen in Calama gegen einen Neuen einzutauschen. Am Flughafen trafen wir keine Menschenseele. Wir telefonierten hin und her mit Budget und unserem Reiseberater in Buenos Aires. Die Übung kostete uns drei Stunden, immer wieder wurden wir vertröstet. Im Nachhinein war ich trotz des Zeitverlustes froh, das Auto getauscht und genügend Proviant für die kommenden Tage eingekauft zu haben. Zum Auftakt besuchten wir auf dem Rückweg das „Valle de la luna“. Am späteren Nachmittag verwandelte sich das grelle Licht (es war ca. 36°C heiss) zu gutem Fotolicht. Die bizarre Mondlandschaft mit ihren Zacken, Türmen und Figuren war grandios und beeindruckte uns. Vor Urzeiten befand sich im Mondtal ein See, dessen Grund bei Erdbeben in die Höhe gedrückt und durch starke Winde, extreme Sonneneinstrahlung und ausgeprägte Temperaturschwankungen in eigenwillige Formen gebracht wurde. Teilweise trug der Boden einen Schmuck aus Salzkrusten und war mit Salzkristallen übersät, deren sanft leuchtende Transparenz an Quarze erinnerten. Kurz vor Sonnenuntergang erklommen wir mit vielen anderen Touristen die grosse Sanddüne und liessen unseren Blick über die bizarre, rötlich schimmernde Landschaft schweifen. Welch wunderbarer Ausblick! Der Tag war gerettet.

30. Dezember 2009: San Pedro de Atacama

Die ersten Tage in San Pedro dienten zugleich auch der Akklimatisierung an die Wüstengegebenheiten. San Pedro liegt auf 2800 m über Meer, während einige Sehenswürdigkeiten auf über 4000 m über Meer anzutreffen waren. Das heutige Tagesziel hiess „Salar de Tara“. Nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg. Die Morgensonne wandelte den mit Algarrobo betupften ockerfarbenen Berghang in ein oranges Meer. Die Jamapassstrasse führte zwischen den Vulkanen Lincancabur und Toco in die „Salar de Tara“, welche auf 4200 m über Meer liegt. Die Höhe machte uns ganz schön zu schaffen. Jegliche Bewegung war mit grosser Anstrengung verbunden und das Atmen fiel uns schwer. Die Höhe und die geografische Lage verlieh der „Salar de Tara“ eine klare Luft und liess den Boden in intensiven Erdfarben leuchten. Die Strasse führte weiter vorbei an grünen Vegas-Oasen, welche Heimat verschiedener wildlebender Tiere sind. Ich staunte immer wieder, dass Tiere in dieser trostlosen Gegend überleben können. Wir sahen viele Vikunjas, die sich nicht domestizieren lassen. Ihr feines Leder und zartes Wollkleid wurde den grazilen Tieren fast zum Verhängnis. Nur Seide übertrifft die spinnwebfeine Faser. Alle zwei Jahre produzieren sie lediglich eine kleine Handvoll davon (ca. 180g). Die Tiere wurden fast vernichtet. Mittlerweile stehen sie unter Naturschutz und der Bestand hat sich auf 30‘000 Exemplare erhöht. 

Die Beschilderung zu den Salzlagunen war miserabel und beinahe verpassten wir die „Einfahrt“. Querfeldein fuhren wir über die Salzkruste, ohne zu wissen, ob wir richtig sind. Weit und breit war niemand zu sehen. Wir donnerten weiter bis wir schliesslich auf einer kleinen Anhöhe ein Hüttchen sahen. Wir steuerten darauf zu und wurden mit einer tollen Aussicht auf die Lagunen belohnt. Die Salzkrusten mit den gelbgrünen Farbtupfern waren einzigartig! Flamingo-Kolonien machten wegen der Sommerstürme im benachbarten bolivianischen Hochland Station an der Laguna Verde auf 4000 m Höhe. Die „Salar de Tara“ gehörte für mich neben der Mondlandschaft zu den absoluten Höhepunkten in der Atacamawüste. Umso mehr erstaunte es mich, dass ich diesen Tagesausflug in keinem Reiseführer finden konnte. Meine ausgiebige Internet-Recherche vor der Abreise zahlte sich aus. 

31. Dezember 2009: San Pedro de Atacama

Mit meinen knappen Spanischkenntnissen konnte ich der Besitzerin des Hostels am Vortag verständlich machen, dass sie das Einfahrtstor über Nacht nicht abschliessen soll, denn wir wollten bereits um 5 Uhr morgens aufbrechen, um bei Sonnenaufgang auf dem fast 4300 m gelegenen höchsten Geysirfeld der Welt zu sein. Anscheinend bietet das weite, tundrafarbene Feld der Tatio-Geysire bei Tagesanbruch den schönsten Anblick. Es war stockdunkel als wir unser Hostel verliessen. Der Weg führte auf einer schmalen rauen Piste immer weiter den Berg hinauf. Mit zunehmender Höhe spürten wir die dünne Luft. Unsere Spezial-Bonbons aus der Apotheke halfen nur beschränkt. Auf der Anhöhe kamen wir an einem wunderschönen Nebelmeer vorbei, das, wie sich nachher heraus stellte, beeindruckender war als die Geysire selber. Der Begriff Geysire war meiner Meinung nach irreführend. Das Feld wies Dutzende blubbernde Erdlöcher, heisse Wasserfontänen und dampfende Fumarolen auf. Feuchtigkeitsschwaden durchzogen die Luft. Das Talbecken pfiff, grollte, fauchte und knisterte. Aber wirkliche Geysire, wie wir es in Island erlebten, gab es hier nicht. 

Am Nachmittag fuhren wir zur „Laguna Chaxa“. Zum Sonnenuntergang soll es dort besonders schön und farbenfroh sein. Der riesige Salzsee bedeckt ca. 3000 km2 der Atacamawüste und liegt auf 2300 m Höhe. In der Senke verdunstet das Wasser und an ihrer Oberfläche setzt sich eine krustige, mit Lehm vermischte Salzschicht ab. Zwischen der Salzkruste gibt es Wasserbecken und Lagunen, die vor allem den Flamingos idealen Lebensraum bieten. Zum Schutz der Lagune war der Bewegungsraum durch feste Wege stark eingeschränkt, sodass man den grossen Flamingo Schwarm nur aus der Ferne bewundern konnte. Zum Glück waren einige Vögel sehr nah. Immer wieder flogen sie laut schnatternd über uns hinweg, angestrahlt vom letzten Licht des Tages. Es war wirklich ein schönes Erlebnis. Auf dem Rückweg nach San Pedro gelang uns noch das perfekte Vollmondbild. Wir trafen erst kurz vor 22.00 Uhr am Silvesterabend wieder in San Pedro ein. Am Vorabend versuchten wir vergeblich in diversen Restaurants für Silvester einen Tisch zu buchen, aber alles war ausgebucht. Wir machten uns schon aufs Schlimmste gefasst. Zur Not hätten wir noch Toastbrot mit Thunfisch und Ananas aus der Dose gehabt. Aber damit wollte ich mich am Silvesterabend nicht zufrieden geben. Wir spazierten ins Dörfchen und versuchten es in unserer bevorzugten Beiz, die wir schon am Vorabend zu reservieren versuchten. Erstaunlicherweise hatte es noch einige freie Plätze und so kamen wir am letzten Abend des Jahres doch noch zu einem leckeren Stück Fleisch.

1. Januar 2010: San Pedro de Atacama

Für den letzten Wüstentag hatten wir uns den Besuch der Vulkane Miñique und Miscanti mit ihren gleichnamigen Lagunen vorgenommen. Tiefblau und weiss gerändert leuchteten die Seen im Hochplateau der Altiplano-Landschaft auf 4500 m. Hinter den Lagunen ragten die zahlreichen Vulkankegel hervor. Es war ein wunderschöner Anblick. Man könnte meinen, dass diese trostlose Gegend kein Leben zulässt. Zu unserer Überraschung trafen wir auf einige Vikunjas, die an den Grasbüscheln zupften. Auf einem Parkplatz assen wir gemütlich unser Mittagessen. Den Nachmittag liessen wir friedvoll in der Hängematte im Hostel ausklingen. 

2. - 3. Januar 2010: San Pedro de Atacama – Santiago de Chile 

Nun hiess es Abschied nehmen von der kargen Wüstenlandschaft. Unser letzter Inlandflug (wiederum wurde das gleiche abscheuliche Süssgebäck verteilt) brachte uns sicher in die Hauptstadt von Chile. Die positiven Erfahrungen der Stadtrundfahrt in Buenos Aires überzeugten uns nach wie vor und so buchten wir auch da eine geführte Tour. Entgegen unseren Erwartungen gefiel uns die chilenische Hauptstadt ebenso gut wie Buenos Aires. Wobei wir von der schwarzen Abgaswolke verschont blieben, die mit Ausnahme von der Ferienzeit über Weihnachten und Neujahr, über der Stadt hängt.

3. – 4. Januar 2010: Santiago de Chile – Zürich

Nach einem letzten kurzen Stadtbummel ging’s per Taxi zum Flughafen. Wir checkten unser Gepäck ein und sassen kurze Zeit später in der Maschine der Iberia Richtung Madrid. Leider mussten wir in einer Viererreihe Platz nehmen. Es war eine anstrengende Reise und wir waren beide müde. So hofften wir auf einen angenehmen Flug und vor allem ruhige Passagiere, sodass wir etwas Schlaf finden können. Mitten in der Nacht, es war 02.00 Uhr in chilenischer Zeit, wurden wir von Lichter sowie lautem Gekicher und Gelabber geweckt. Wir waren umgeben von jungen Chilenen, die mitten in der Nacht Party machten. Die Ermahnung der Crew kümmerte die Teenager wenig und der Lärmpegel blieb unverändert hoch. Wir waren genervt, dass die Besatzungsmannschaft nicht erneut eingreift. So war es eine kurze Nacht mit wenig Schlaf für uns. In Madrid hatten wir endlich die Rasselbande los. Glücklicherweise streikte Iberia für einmal nicht und unser Anschlussflug nach Zürich startete rechtzeitig. Zurück in der Schweiz wartete wie immer mein Vater bereits am Flughafen auf uns und brachte uns an diesem kalten, trüben Wintermorgen nach Hause. 

Damit ging eine beeindruckende Reise zu Ende. Rückblickend war es ein anstrengender, aber erlebnisreicher Urlaub voller Höhepunkte. In Patagonien fanden wir eine raue und verschwenderische Natur vor. Mit zunehmenden Reisetagen wurde die Landschaft immer wilder, das Klima immer polarer und unsere Wanderungen im Nationalpark Los Glaciares und Torres del Paine immer abenteuerlicher. Wir standen tief berührt vor dem Perito Moreno Gletscher, einem Wunderwerk der Natur und eines der grössten Naturspektakel der Welt; die Torres Heights im Torres del Paine Nationalpark versetzten uns in Staunen und liessen uns jegliche Strapazen vergessen. Ein paar Flugstunden weiter nördlich sah die Landschaft ganz anders aus, ebenso spannend, ebenso ergreifend. Die Atacamawüste hatte ihren eigenen Zauber und die Ausflüge in über 4000 m. über Meer raubten uns regelrecht den Atem. Es war eine Reise in Landschaften der Extreme, wo man Gletscher, Bergen und Wüsten findet, aber auch Steppe, Wind, Einsamkeit und Einöde.

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Unterwegs in der steinernen Wunderwelt

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Bergwelten der Rocky Mountains